Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
sie das gut und war stolz auf ihren Sohn und ihre Tochter. Aber ihr Bauchgefühl war weniger gut. Sie fühlte sich verletzt und seltsam unsicher. Ihr war, als nähme Ronald ihr den Sohn weg und ganz allmählich auch Sofia. Da half es gar nicht, wenn sie sich tausendmal sagte, dass Jungs einen Vater brauchten und dass Mütter loslassen mussten, damit … damit was? Damit sie keine Muttersöhnchen erzeugten? Damit sie richtige Männer wurden? Was für Männer?
Trotzdem: Sie hatte ihre Lektion gelernt. Langsam trank Laura das Glas Mineralwasser aus. Jetzt also Sofia. Jetzt standen Gespräche über Empfängnisverhütung und Verantwortung an. Und auch darüber, dass es für Laura nicht leicht sein würde, einen jungen Mann in ihrer Wohnung aufzunehmen, der offensichtlich sehr in ihre sehr junge Tochter verliebt war. Warum hatte sie das nur erlaubt? Spontan, ohne lange nachzudenken. Eine bescheuert liberale Mutter.
Im Augenblick fühlte sie sich erheblich weniger liberal. Eher unsichtbar. Kriminalhauptkommissarin Gottberg, unsichtbar. Die Dinge laufen lassend. Nicht im Beruf, nur zu Hause. Vielleicht sogar in ihrer Beziehung zu Angelo Guerrini.
Laura sah sich in ihrer Küche um. Warm und vertraut war sie, ein bisschen verwohnt in den Ecken. Wie lange lebten sie hier schon? Beinahe zwanzig Jahre. Noch nie hatte sie so viele Jahre in einer Wohnung verbracht. Nicht einmal in ihrer Kindheit.
Die vier Wochen mit Angelo hatten das gewohnte Leben total verändert. Anstelle von Luca war Angelo eingezogen. Nur für etwas länger als einen Monat, aber immerhin. Ihr erster Versuch, so etwas wie ein gemeinsames Leben zu erproben, das nicht aus Urlaub oder Ermittlungsarbeit bestand.
Das Ergebnis war irgendwie mittelmäßig gewesen. Ausgerechnet in diesen viereinhalb Wochen hatten sich Lauras Überstunden gehäuft und komplizierte Ermittlungen ihre ganze Aufmerksamkeit erfordert. Jetzt, in ihrer blaulackierten Küche, fühlte sie sich plötzlich wie eine Versagerin. Diese kostbaren Wochen hätten nicht so ablaufen dürfen. Nicht nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten, als Angelo angeschossen worden war.
Augenblicke großer Nähe hatte es gegeben, richtig gute Stunden, aber sie war das Gefühl nicht losgeworden, dass er auf sie wartete, dass sie mehr Zeit mit ihm verbringen sollte. Es hatte sie belastet, nervös gemacht. Aber vielleicht hatte er gar nicht gewartet. Warum hatte sie nicht richtig mit ihm darüber geredet? Nur ansatzweise hatte sie mit ihm gesprochen, und er hatte stets abgewehrt und gesagt, dass alles in Ordnung sei.
«Du musst mir nicht erklären, wie Polizeiarbeit aussieht, Laura. Sie ist nicht besonders gut fürs Zusammenleben. So ist es eben.»
Aber es ist ein verdammter Mist, dachte Laura. Ein verfluchter, verdammter Scheißmist!
Plötzlich erfasste sie eine Art Panik. Was, wenn Angelo bestimmte Schlüsse aus diesen vier Wochen in München gezogen hatte und ihre Beziehung auslaufen ließe?
Sie hatte in den vergangenen Jahren immer wieder Zweifel gehabt, und warum sollte es ihm anders gehen? Und sie selbst? Hatte sie noch oder wieder Zweifel? Nein, verdammt noch mal! Gerade jetzt hatte sie keinerlei Zweifel.
Was hatte sie zu Sofia gesagt? Es sei gut, dass Angelo wieder in Siena arbeite, es entlaste ihr schlechtes Gewissen wegen der Überstunden. Völliger Quatsch. Als er wieder in den Zug nach Florenz stieg, war sie völlig zerrissen zurückgeblieben – mit einem Gefühl, als hätte sie eine große Chance verpasst, als wäre er ihr entglitten und sie hätte ihn nicht festgehalten.
Sie erinnerte sich noch an die Muster verschütteter Getränke und plattgetretener Kaugummis auf dem grauen Boden des Bahnsteigs, an den schalen Geruch und daran, dass sie dem abfahrenden Zug nachgeschaut hatte, als würde ihr Leben davonfahren, ohne dass sie noch hätte aufspringen können.
Du bist melodramatisch, dachte sie. Das ist deine italienische Abstammung. Ihr Vater lachte sie deshalb manchmal aus.
«Wie deine Mutter!», sagte der alte Gottberg dann. «Sie war eine große Freundin des Dramas. Ich liebte das. Wir spielten Drama und danach Commedia. Es wurde nie langweilig mit deiner Mutter.»
Aber ich spiele das Drama als Ein-Personen-Stück, dachte Laura. Mir fehlt das Publikum.
Später sah sich Laura einen Krimi im Fernsehen an, der langweilig war, aber sie brachte nicht die Kraft auf, ihn abzuschalten. Unbewusst wartete sie darauf, zu Sofias Skype-Telefonat mit Patrick gerufen zu werden. Aber Sofia
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