Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
machte Guerrini. «Bring nicht die gesamte italienische Presse in Misskredit. Besorg lieber ein Auto und zieh dich um!»
Tommasini zuckte die Achseln und verschwand in den Gängen der Questura. Aber Guerrini gab ihm recht. Auch ihm war der seltsame Reporter bereits mehrfach aufgefallen. Einer mit stets angestrengter Miene, einer, der seinen Auftraggebern offensichtlich beweisen musste, dass er ganz nah dran war. So nah dran, dass er auch ein Bodyguard sein konnte oder einer von den aufdringlichen Zuschauern, die ihr Gesicht unbedingt in die Kamera halten müssen, um von Freunden und Familie gesehen zu werden. Vielleicht wollte dieser Mann mit dem angestrengten Gesicht aber nur seiner Freundin beweisen, dass er auf Tuchfühlung mit den Mächtigen war, ein berühmter Reporter, obwohl er in Wirklichkeit arbeitslos war und von der Pension seiner Mutter lebte. Vielleicht spielte er nur Reporter, ganz für sich selbst. Weil er sonst nichts hatte. Dann konnte er sich abends im Telegiornale bewundern, Seite an Seite mit den Politikern. Die perfekte Illusion.
Wieso denke ich eigentlich über so einen Unsinn nach? Tommasini hat manchmal die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit so geschickt auf etwas anderes zu lenken, dass man völlig den Faden verliert.
Aber eigentlich mochte Guerrini das. Sein Kollege dachte sehr assoziativ, seine Gedankengänge waren voller Seitentriebe und Knospen, und auf diese Weise machte er immer wieder erstaunliche Entdeckungen. So hatte Tommasini zum Beispiel dafür gesorgt, dass Guerrinis Wohnung in perfekten Zustand versetzt wurde, nachdem er angeschossen worden war und im Koma lag. Offensichtlich hatte er sein assoziatives Denken eingesetzt, Schlüsse aus der Anwesenheit von Guerrinis Exfrau Carlotta gezogen und damit Laura vor einem Schock und ihn selbst vor einem Riesenproblem bewahrt.
Wie hatte es nur passieren können, dass er ausgerechnet mit Carlotta ins Bett gegangen war? Nicht mit einer der jungen Kolleginnen … nein, mit Carlotta!
Voll Dankbarkeit gegenüber Tommasini kehrte der Commissario in sein Büro zurück, wusch sich im kleinen Waschbecken neben der Tür die Hände und betrachtete sich prüfend im Spiegel. Er registrierte vermehrt weiße Haare an den Schläfen und dunkle Schatten unter den Augen. Als er tief Luft holte, spürte er wieder den ziehenden Schmerz in der Brust und atmete flacher weiter. Mit feuchten Händen strich er sein Haar halbwegs glatt und schaute sich selbst in die Augen.
Wenn er sich auf den Schmerz einließ, dann hatte er das dringende Bedürfnis nach einer neuen Auszeit. Danach, etwas ganz anderes zu tun. Mit seinem Vater Trüffel zu suchen, zu lernen, wie man Schafskäse machte oder Oliven und Wein anbaute. Nicht besonders originell, aber naheliegend und verlockend. Und wieder kam von irgendwo aus der Vergangenheit die Erinnerung an auswendig gelernte Verse des großen Dante:
Der Tag entwich schon und der düstre Himmel
Entlud die Wesen, die auf Erden wohnen,
All ihrer Mühen, aber ich allein nur
Hielt mich bereit, den Kampf zu überstehen …
Nahm sich ganz schön wichtig, der verehrte Dante, dachte Guerrini. Wenn dieser miese kleine Ganove mich erschossen hätte, dann wäre ich jetzt nicht mehr da. Dann müsste der ebenfalls nicht ganz ehrenvolle Vicecommissario Lana den Fall Massimo bearbeiten. Ihm würden diese Verse mit Sicherheit Freude machen … aber ich allein nur hielt mich bereit, den Kampf zu überstehen … das entspricht genau dem Weltbild von Lana. Dabei ist er ein verdammter Feigling und Arschkriecher. Für mich müsste es anders klingen … vielleicht: Aber ich allein hab lang genug den Kampf bestanden, möcht über grüne Hügel, ganz ohn Lasten wandern.
Nicht schlecht, murmelte er und grinste in den Spiegel. Vielleicht hat das Auswendiglernen der Dante’schen Verse doch etwas geholfen, trotz all der Leiden, damals.
Beinahe zufrieden, setzte er sich an seinen Schreibtisch und rief Capitano Maltempo an, bei dem die Freundin des toten Hardenberg diesen als vermisst gemeldet hatte. Sie kannten sich noch aus alten Zeiten, er und Maltempo, und im Gegensatz zu anderen hatte Guerrini nie einen blöden Witz über den Namen des Kollegen gemacht. Wer Maltempo hieß, Schlechtwetter, war schon geschlagen genug.
«Sono Guerrini. Come stai, Umberto?»
«Angelo, che sorpresa! Sto abbastanza bene. E tu?»
«Sto bene, grazie. Anche la famiglia sta bene?»
«Sì, tutti stanno bene.»
«Du weißt schon, warum ich anrufe, nicht
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