Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
gelesen, Laura. Ist dir noch nie aufgefallen, dass der werte Herr Kriminaloberrat gern delegiert und ziemlich oft nicht besonders gut informiert ist?»
«Klar ist mir das aufgefallen. Aber in so einem speziellen Fall … Banken, das ist doch im Moment Panikthema Nummer eins!»
Claudia lachte kurz auf. «Vielleicht hat er es gerade deshalb nicht gelesen. Es ist eine Geschichte, die Ärger bringen könnte. Du setzt dich wohl am besten mit dem LKA in Verbindung, oder soll ich das erledigen?»
«Ich mach das schon selbst, aber zuerst rufe ich den Staatsanwalt in Siena an», murmelte Laura.
«Siena?»
«Ja, Siena.»
«Dann ist es ja der ideale Fall für dich!»
Laura antwortete nicht und griff nach Ordner, Jacke und Rucksack.
«Ich bin in meinem Büro, falls du mich brauchst», sagte sie an der Tür.
«Entschuldige. Hab ich was Falsches gesagt?»
«Nein. Ich möchte nur in Ruhe diese Akten lesen und dann mit dem LKA sprechen und mit dem Staatsanwalt.» Laura zögerte einen Augenblick und fügte langsam hinzu: «Becker hat es ganz ähnlich formuliert wie du, Claudia. Manchmal nervt es mich.»
«Es tut mir wirklich leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten … aber weil heute alles so traurig ist, wollte ich einen Witz machen. War wohl kein guter, was?»
«War aber auch nicht schlecht. Ist schon in Ordnung, Claudia. Jetzt brauch ich nur eine Weile meine Ruhe, dann geht’s wieder.»
Laura riss die Fenster ihres kleinen Büros weit auf, um die Frühlingsluft hereinzulassen. Während sie den Flur entlangging, hatte sie versucht herauszufinden, wie sich der spezifische Geruch des Polizeipräsidiums zusammensetzte. Ein bisschen abgestanden roch es, nach Lampen mit Kunststofffassungen, die heiß wurden, nicht nach Staub oder Akten. Irgendwie auch nach Schweiß, obwohl Laura sich nicht erklären konnte, weshalb. Jedenfalls war es kein besonders angenehmer Geruch. Sie schaute zu den Türmen der Frauenkirche hinüber, bemerkte, dass der Himmel noch immer milchig unentschieden über der Stadt hing.
Warum hat Angelo noch nicht angerufen? Aus dem Bericht von Staatsanwalt Cichetto ging eindeutig hervor, dass er im Fall Hardenberg ermittelte. Wann hatten sie zum letzten Mal miteinander gesprochen? Vor vier Tagen. Inzwischen war Hardenberg ermordet worden, und Angelo wusste, dass der Stammsitz der Hardenberg Bank in München lag. Aber Angelo hatte nicht angerufen.
Sie selbst auch nicht. Warum eigentlich? Sie sehnte sich nach ihm.
Langsam wandte sich Laura vom Fenster ab und ging zu ihrem Schreibtisch. Sie legte eine Hand auf den Aktenordner und schob ihn dann von sich weg.
Ich habe Angst, dachte sie. Ich fürchte mich davor, dass Angelo sich allmählich von mir zurückzieht. Deshalb rufe ich nicht an.
Nach seiner schweren Verletzung hatte er sich verändert. Sie hatten viel darüber gesprochen, auch über seine Träume vom fliegenden Hund, über die Beunruhigung, die sie auslösten. Sie hatten versucht, über sein «mildes Trauma» zu lachen, aber der Hund ging nicht weg. Nicht in München und nicht in Siena.
«Wie geht’s dem Hund?», hatte Laura beim letzten Telefongespräch gefragt.
«Es geht ihm gut. Er fliegt immer besser.»
«Besuch ihn doch mal bei den Pisellis und bring ihm was zu fressen mit. Vielleicht beruhigt er sich dann.»
«Ich glaube nicht, Laura. Aber ich könnte es versuchen.»
«Vielleicht wäre es gut, wenn du mit einem Psychologen darüber sprechen würdest.»
«Möglicherweise.»
Dann hatte Angelo das Thema gewechselt. Vielleicht hätte sie das mit dem Psychologen nicht sagen sollen, obwohl sie danach über alles Mögliche geplaudert hatten, über Sofia, Angelos Vater, darüber, dass der Frühling auf sich warten ließ. Nach dem Gespräch hatte Laura sich merkwürdig ratlos gefühlt und sich gefragt, wie es weitergehen solle, dieses Leben auf Distanz. Immer wieder wurden Entwicklungen unterbrochen, fehlte plötzlich Nähe, gab es Missverständnisse.
Ihr selbst fiel es ja inzwischen auch schwer, so weiterzumachen wie bisher, ganz besonders in den letzten Wochen. Sie fühlte sich total eingeengt, und die Vorstellung, dass es noch viele Jahre so weitergehen könnte, löste an manchen Tagen geradezu Verzweiflung in ihr aus. Aber Luca und Sofia waren noch lange nicht selbständig, vermutlich würden beide ein Studium anfangen, und dann würde sie noch immer jahrelang ein sicheres Einkommen benötigen, um ihre Kinder zu unterstützen. Auf ihren Ex konnte sie dabei nur sehr begrenzt
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