Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
saß Laura Gottberg noch immer an Baumanns Schreibtisch, völlig vertieft in die Aufzeichnungen des Staatsanwalts Cichetto. Seine Fragen waren voller Details und so umständlich formuliert, dass sie viele Sätze mehrmals lesen musste, um ihren Inhalt wirklich zu verstehen.
«Sag nicht, dass du die ganze Zeit hier auf mich gewartet hast.»
«Nein, hab ich nicht.» Zerstreut schaute Laura auf und gleich wieder in den Ordner.
«Es geht ihm wirklich nicht gut!» Claudia stellte sich vor Laura hin. «Er hat Angst. Hat er dir das auch gesagt?»
«Was?»
«Ich rede mit dir, Laura Gottberg! Peter hat Angst, richtig Angst, und das finde ich sehr beunruhigend.»
«Entschuldige. Ich lese gerade sehr beunruhigende Unterlagen … Peter hat Angst, das hat er mir auch gesagt. Im Augenblick könnte das möglicherweise normal sein, aber es könnte auch bedeuten, dass er ein Trauma erlitten hat.»
Langsam zog Claudia ihre Jacke aus, hängte sie in den Schrank, ging wieder zu Laura und sah sie fragend an. «Was bedeutet das?»
«Ich weiß es nicht, Claudia. Kann sein, dass es sich von selbst auflöst, aber es kann auch sein, dass es für eine Weile bleibt. Im Krankenhaus haben sie ein Auge drauf.»
«Was macht man, wenn es bleibt?»
«Therapie vermutlich.»
«Und wie geht’s dann für ihn weiter? Ich meine, mit Arbeit und allem …» In Claudias Augen lag eine seltsame Unruhe, sie schluckte schwer, fasste sich mit der Hand an die Kehle.
«Es ist ja noch gar nicht erwiesen, dass er traumatisiert ist, Claudia. Vielleicht träumt er in zwei Tagen, dass er die drei Typen durch die Fensterscheiben von McDonald’s schmeißt, und dann geht es ihm wieder gut.»
Claudia drehte sich um und ging zu ihrem Schreibtisch.
«Glaub ich nicht», sagte sie so leise, dass Laura es kaum verstehen konnte.
Ich auch nicht, dachte Laura und hatte plötzlich den Eindruck, dass Claudia nicht nur als Kollegin an Baumanns äußeren und inneren Verletzungen Anteil nahm. Aber vielleicht täuschte sie sich auch. Sie konzentrierte sich wieder auf die Informationen in ihrem Aktenordner.
«Was liest du da eigentlich? Du arbeitest doch sonst nie in unserem Büro.» Claudias Stimme klang angriffslustig.
«Na, heute hatte ich euer Büro für mich allein. Becker hat mir diesen Aktenordner vor die Füße geknallt, deshalb bin ich gleich hiergeblieben.» Laura versuchte einen leichteren Tonfall anzuschlagen.
«Vor die Füße geknallt?»
«Ja, und er hat ihn nicht aufgehoben.»
«Und du? Was hast du gemacht?»
«Ich hab ihn auch nicht aufgehoben. Erst nachdem der Chef das Zimmer verlassen hatte. Er hat übrigens gesagt, dass der Kaffee scheußlich sei.»
«Das sagt er immer, weil er nur deutschen Filterkaffee mag.»
«Ich hatte daraufhin den Impuls, ihm meinen Kaffeebecher nachzuwerfen. Hab es aber gelassen, weil ich sonst hätte putzen müssen. Aber der Impuls war sehr erleichternd.»
Claudia lachte.
Gott sei Dank, sie lacht, dachte Laura. Laut fragte sie: «Wie geht es deiner Kleinen?»
«Ach, der geht’s gut. Sie liebt ihre Kita und ihre vielen Freundinnen. Es geht so viel leichter, Laura. Sie ist auch nicht mehr so oft krank. Und dieses Jahr sieht es so aus, als könnte ich endlich eine Woche allein Urlaub machen, weil meine Eltern sich um ihre Enkelin kümmern wollen. Jetzt, wo sie endlich so groß ist, dass man etwas mit ihr anfangen kann … wie mein Vater sagt.»
«Freut mich für dich. Ich hatte manchmal den Eindruck, dass du kurz davor stehst aufzugeben.»
«Der war nicht falsch, dein Eindruck.»
«Was willst du mit deiner kostbaren Woche anfangen?»
«Keine Ahnung. Was steht denn nun eigentlich in dem Aktenordner, den Becker dir vor die Füße geknallt hat? Haben wir irgendwas falsch gemacht?»
«Nein. Es geht um Ermittlungshilfe für den Mord an einem deutschen Banker in Italien. Aber es ist eine ziemlich verwirrende Geschichte. Vorn im Ordner stehen die Fragen des italienischen Staatsanwalts, und dann folgen Ermittlungsakten über die Hardenberg Bank, die vom Dezernat für Wirtschaftskriminalität im LKA Bayern stammen. Aber diese Ermittlungen sind offensichtlich schon vor einem Jahr eingestellt worden … auf Anweisung der Staatsanwaltschaft. Wie das alles zusammenhängt, ist mir völlig unklar.»
«Hat der Chef nichts gesagt?»
«Nein, er hat nur gesagt, dass der italienische Staatsanwalt um die Beantwortung seiner Fragen bittet. Die LKA-Ermittlungen hat er mit keinem Wort erwähnt.»
«Vielleicht hat er den Ordner nicht
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