Zeit der Skorpione: Laura Gottberg ermittelt (German Edition)
eine schimmernde hellblaue Seidenkrawatte. Noch nie hatte Laura ihn so elegant gesehen. Wegen seines stets leicht geröteten, vollen Gesichts wirkte er zwar trotzdem ein bisschen wie ein niederbayerischer Viehhändler, aber heute immerhin wie ein gut angezogener. Offensichtlich hatte er seinen leutseligen Tag, denn er wedelte fröhlich mit einem Aktenordner.
«Wie schön, Sie zu sehen, Laura. Gibt’s auch noch einen Kaffee für mich?» Suchend schaute er sich um, sein Blick wanderte vom leeren Schreibtisch der Sekretärin zum leeren Schreibtisch von Kommissar Baumann, auf dem Laura noch immer saß.
«Guten Morgen. Schaun wir einmal nach, ob es noch einen Kaffee gibt.» Laura rutschte vom Tisch und ging zur Espressomaschine.
«Wo sind denn die andern?» Becker schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr, steckte den Aktenordner unter seinen linken Arm, seine rechte Hand in die Hosentasche und schlenderte quer durch den Raum auf Laura zu.
«Größere Katastrophen», murmelte sie, während sie den restlichen Kaffee einschenkte. Sie schilderte in knappen Worten die Situation.
Becker schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen. «Bitter. Die Kerle sitzen in Untersuchungshaft?»
«Sie sitzen.»
«Immerhin etwas. Aber übel für Baumann und auch für uns. Bei dem Personalmangel. Ich habe vom BKA Arbeit mitgebracht. Einer der Mitbesitzer der Hardenberg Bank ist in Italien umgebracht worden. Der Urenkel des Gründers, Leo Hardenberg. Der italienische Staatsanwalt, der mit der Sache befasst ist, hat darum gebeten, die Bank und ihr Umfeld ein bisschen unter die Lupe zu nehmen. Er hat jede Menge Fragen, und die sind hier drin.» Schwungvoll warf er den Ordner auf Baumanns Schreibtisch, wo er über die glatte Fläche schlitterte und aufgeschlagen auf dem Boden landete.
«Bravo», sagte Laura und reichte ihrem Vorgesetzten den Kaffeebecher. Er nahm ihn, zögerte, doch sie machte keinerlei Anstalten, den Ordner aufzuheben. Auch er ließ es bleiben.
«Wo ist Hardenberg denn umgebracht worden?», fragte sie stattdessen und setzte sich wieder auf Baumanns Schreibtisch. Ich heb ihn nicht auf, dachte sie und schlug die Beine übereinander.
«Irgendwo in der Toskana. Steht alles in der Anfrage um Ermittlungshilfe.»
«Wann ist das passiert?»
«Vor zwei oder drei Tagen.»
«Ist seine Familie benachrichtigt worden?»
«Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Vorstände der Hardenberg Bank benachrichtigt wurden, deshalb nehme ich an, dass auch seine Familie …»
«Ja, wahrscheinlich. Ist der Staatsanwalt aus Florenz?»
«Nein, ich glaube, er hat seinen Sitz in Siena. Eigenartiger Zufall, nicht wahr, Laura? Aber glauben Sie nur nicht, dass Sie schon wieder auf Staatskosten in die Toskana reisen dürfen. Es geht ausschließlich um Informationen über die Münchner Hardenberg Bank.»
«Müssen Sie eigentlich immer so direkt werden, Herr Becker? Ich kann nichts dafür, dass Leo Hardenberg in der Toskana ums Leben gekommen ist. Ich kann auch nichts dafür, dass der Staatsanwalt aus Siena um Ermittlungshilfe bittet. Mir geht es im Augenblick darum, dass Kommissar Baumann wieder gesund wird.»
«Natürlich, natürlich. Trotzdem werden Sie vermutlich das Vergnügen haben, mit einem gewissen Kollegen aus Siena zusammenzuarbeiten. Er ist nämlich ebenfalls mit diesem Fall befasst.» Kriminaloberrat Becker nippte an seinem Kaffee, stellte ihn auf Claudias Schreibtisch ab und wandte sich zum Gehen. «Das wäre alles. Halten Sie mich auf dem Laufenden und grüßen Sie Baumann von mir. Ich werde in den nächsten Tagen bei ihm vorbeischauen.» An der Tür wandte er sich noch einmal um und sagte: «Der Kaffee war übrigens scheußlich.»
Laura stand da und stellte sich vor, wie sie ihm den halbvollen Kaffeebecher nachwarf. Der Becher würde gegen die Tür knallen und der Kaffee nach allen Seiten spritzen. Damit war die Angelegenheit erledigt, und sie konnte sich das Aufwischen sparen. Entlastende Visualisierung nannte Laura Phantasien dieser Art.
Natürlich wusste Becker längst von ihrer Beziehung zu Guerrini. Alle wussten es. Seufzend betrachtete sie den zerfledderten Ordner, hob ihn endlich auf und glättete die zerknickten Blätter. Vor zwei Tagen war also dieser Leo Hardenberg irgendwie zu Tode gekommen. Warum hatte Angelo nicht angerufen? Und warum stand noch nichts in den Zeitungen? Laura setzte sich an Baumanns Schreibtisch, schlug den Ordner auf und begann zu lesen.
Als Claudia aus dem Krankenhaus zurückkam,
Weitere Kostenlose Bücher