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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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sich im Licht des abnehmenden Mondes blass abzeichneten. Trotzdem war er überrascht, wie nah die Steine bei dem Hof standen; er musste beim Umherirren öfter im Kreis gelaufen sein, als er dachte.
    »So«, sagte der dunkelhaarige Mann und blieb abrupt stehen. »Hier lassen wir dich allein.«
    »Ach ja?«, keuchte Jerry. »Aber … aber ihr …«
    »Als du … angekommen bist. Hattest du irgendetwas dabei? Einen Edelstein, irgendwelchen Schmuck?«
    »Aye«, sagte Jerry verblüfft. »Ich hatte einen Rohsaphir in der Tasche. Aber er ist fort. Als wäre er …«
    »Als wäre er verbrannt«, beendete der blondhaarige Mann seinen Satz mit grimmiger Stimme. »Aye. Und?« Letzteres war eindeutig an den Dunkelhaarigen gerichtet, der jetzt zögerte. Jerry konnte zwar sein Gesicht nicht sehen, doch sein ganzer Körper verriet Unentschlossenheit. Doch er zauderte nicht lange – er steckte die Hand in den Lederbeutel an seiner Taille, zog etwas heraus und drückte es Jerry in die Hand. Es war vom Körper des Mannes schwach gewärmt und fühlte sich hart an. Irgendein kleiner Stein. Geschliffen wie der Stein in einem Ring.
    »Nimm ihn, es ist ein guter Stein. Wenn du hindurchgehst«, sagte der Dunkelhaarige drängend zu ihm, »denk an deine Frau, an Marjorie. Konzentriere dich; stelle dir ihr Bild vor und schreite geradewegs hindurch. Doch was auch immer du tust, denk nicht an deinen Sohn. Nur an deine Frau.«
    »Was?« Jerry war vollkommen verblüfft. »Woher zum Teufel kennst du den Namen meiner Frau? Und wie hast du von meinem Sohn gehört?«
    »Das spielt keine Rolle«, sagte der Mann, und Jerry sah seine Bewegung, als er den Kopf wandte, um sich umzusehen.
    »Verdammt«, sagte der Blondhaarige leise. »Sie kommen. Da ist ein Licht.«
    So war es; ein einzelnes Licht, das sich regelmäßig auf und ab bewegte, als würde es getragen. Doch so angestrengt er auch hinschaute, Jerry konnte niemanden dahinter sehen, und ein heftiger Schauder durchfuhr ihn.
    » Tannasg «, sagte der andere Mann leise. Jerry kannte dieses Wort – es bedeutete Geist, und zwar normalerweise ein böser. Ein Gespenst.
    »Aye, vielleicht.« Die Stimme des Dunkelhaarigen war ruhig. »Vielleicht auch nicht. Es ist schließlich fast Samhain. Wie auch immer – du musst gehen, Mann, und zwar sofort. Vergiss nicht, denk an deine Frau.«
    Jerry schluckte, und seine Hand schloss sich fest um den Stein.
    »Aye. Aye … gut. Dann also … danke«, fügte er verlegen hinzu und hörte, wie der Dunkelhaarige ganz leise reumütig lachte.
    »Keine Ursache, Kumpel«, sagte er. Und damit waren sie beide fort, zwei Gestalten im Mondschein, die über die abgefressene Wiese stapften.
    Jerry, dem das Herz in den Ohren hämmerte, wandte sich den Steinen zu. Sie sahen genauso aus wie vorher. Einfach nur Steine. Doch das Echo dessen, was er darin gehört hatte … Er schluckte. Es war ja nicht so, als ob ihm viel anderes übrig geblieben wäre.
    »Dolly«, flüsterte und versuchte, das Bild seiner Frau heraufzubeschwören. »Dolly. Dolly, hilf mir!«
    Zögernd ging er einen Schritt auf die Steine zu. Noch einen. Und noch einen. Dann hätte er sich fast die Zunge abgebissen, als sich eine Hand um seine Schulter klammerte. Er fuhr mit geballter Faust herum, doch die andere Hand des dunkelhaarigen Mannes ergriff sein Handgelenk.
    »Ich liebe dich«, sagte der Dunkelhaarige in durchdringendem Ton. Dann war er wieder fort, und seine Schuhe wischten leise durch das trockene Gras, während Jerry mit offenem Mund zurückblieb.
    Er hörte die Stimme des anderen Mannes aus der Dunkelheit, irritiert, hab belustigt. Sie klang anders als die des Dunkelhaarigen, mit viel stärkerem Akzent, doch Jerry verstand ihn ohne Schwierigkeiten.
    »Warum hast du ihm denn diesen Blödsinn erzählt?«
    Die Antwort des Dunkelhaarigen, leise, in einem Ton, der ihm mehr Angst einjagte als alles andere zuvor, kam prompt.
    »Weil er es nicht schaffen wird. Es ist die einzige Chance, die ich je bekommen werde. Komm, gehen wir.«
    DER MORGEN DÄMMERTE, als er wieder zu sich kam, und die Welt war still. Kein Vogel sang, und die Luft war kalt – November, der Winter kam. Als er aufstehen konnte, ging er nachsehen, zitternd wie ein neugeborenes Lamm.
    Das Flugzeug war nicht da, doch dort, wo es gelegen hatte, zog sich eine tiefe Furche durch den Boden. Aber die Erde war nicht nackt, sondern mit Grashalmen überzogen – nicht nur Halme, wie er sah, als er hinüberhumpelte. Es war ein Grasteppich. Abgestorbene

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