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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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seine eigenen Zeugen mitbringen, ganz gleich, zu welchem Zweck. Wusstest du das nicht?«
    Grey ging davon aus, dass er theoretisch davon gehört hatte. Doch er hatte noch nie einem Kriegsgericht beigewohnt; so etwas kam nicht alle Tage vor, und er hatte keine rechte Vorstellung davon, wie es dabei zuging.
    Er warf Hal einen Seitenblick zu.
    »Du hast gesagt, eigentlich wolltest du es mir nicht zeigen?«
    Hal zuckte mit den Achseln und pustete seiner Tochter behutsam über den Kopf, so dass sich die kurzen blonden Härchen hoben und senkten wie Weizen im Wind.
    »Es wäre doch sinnlos gewesen. Ich hatte vor, zurückzuschreiben und zu sagen, dass ich dich als dein Vorgesetzter hier brauche; warum sollte man dich in die kanadische Wildnis schleifen? Aber angesichts deines Talentes für peinliche Situationen … Wie hat es sich eigentlich angefühlt?«, erkundigte er sich neugierig.
    »Wie hat sich was – oh, der Aal.« Grey war an die blitzschnellen Gedankensprünge seines Bruders gewöhnt und folgte ihm auch jetzt problemlos. »Nun, es war ein ziemlicher Schock.«
    Er lachte – wenn auch zaghaft – über Hals finstere Miene, und Dottie wand sich in den Armen ihres Vaters und streckte die runden Ärmchen flehentlich nach ihrem Onkel aus.
    »Du kleine Zirze«, sagte er zu ihr und nahm sie Hal ab. »Nein, es war wirklich bemerkenswert. Weißt du, wie es sich anfühlt, wenn man sich einen Knochen bricht? Diese Art Ruck, bevor man den Schmerz spürt, der einem durch Mark und Bein geht, so dass man kurz blind wird und das Gefühl hat, als hätte einem jemand einen Nagel durch den Bauch gebohrt? So war es, nur viel stärker, und es hat länger gedauert. Hat mir den Atem geraubt«, gab er zu. »Ganz buchstäblich. Und ich glaube, mir ist das Herz stehen geblieben. Dr. Hunter – du weißt, der Anatom? – war dabei, und er hat mir auf die Brust geschlagen, um es wieder in Bewegung zu setzen.«
    Hal hörte ihm gebannt zu und stellte ihm einige Fragen, die Grey automatisch beantwortete, während er in Gedanken mit dem letzten, überraschenden Kommuniqué beschäftigt war.
    Charlie Carruthers. Sie waren gemeinsam junge Offiziere gewesen, wenn auch aus unterschiedlichen Regimentern. Hatten Seite an Seite in Schottland gekämpft und sich beim nächsten Freigang zusammen in London herumgetrieben. Sie hatten – nun, eigentlich konnte man es nicht als Affären bezeichnen – drei oder vier kurze Begegnungen. Es waren verschwitzte, atemlose Viertelstunden in dunklen Ecken, die man bei Tag bequem vergessen oder als betrunkene Eskapaden abtun konnte, über die man nicht mehr sprach.
    Das war in jener schlimmen Zeit gewesen, in den Jahren nach Hectors Tod, in denen er das Vergessen suchte, wo immer er es finden konnte – und es oft genug gefunden hatte –, bevor er sich langsam wieder erholte.
    Wahrscheinlich hätte er sich gar nicht mehr an Carruthers erinnert, wäre das eine Besondere nicht gewesen.
    Carruthers war mit einer interessanten Missbildung zur Welt gekommen – er hatte eine Doppelhand. Carruthers’ rechte Hand sah ganz normal aus und funktionierte auch so, doch an seinem Handgelenk entsprang eine weitere Zwergenhand, die sich nahtlos an ihren Zwilling schmiegte. Dr. Hunter würde wahrscheinlich Hunderte für diese Hand bezahlen, dachte Grey, und sein Magen drohte sich zu verdrehen.
    Die Zwergenhand hatte nur zwei kurze Finger und einen Daumenstummel – doch Carruthers konnte sie öffnen und schließen, allerdings nicht, ohne die größere Hand ebenfalls zu öffnen und zu schließen. Der Schock, als Carruthers beide gleichzeitig um Greys Schwanz gelegt hatte, war beinahe genauso außergewöhnlich gewesen wie der Schock durch den Zitteraal.
    »Nicholls ist doch noch nicht beerdigt worden, oder?«, fragte er abrupt, denn bei dem Gedanken an den Abend mit dem Aal und an Dr. Hunter musste er Hal mitten im Satz unterbrechen.
    Hal musterte ihn überrascht.
    »Gewiss nicht. Warum?« Er sah Grey scharf an. »Du hast doch wohl nicht vor, dem Begräbnis beizuwohnen?«
    »Nein, nein«, sagte Grey hastig. »Ich musste nur an Dr. Hunter denken. Er, äh, hat einen gewissen Ruf … und Nicholls ist mit ihm zusammen fortgegangen. Nach dem Duell …«
    »Was denn für einen Ruf, zum Kuckuck?«, wollte Hal ungeduldig wissen.
    »Als Leichenfledderer«, entfuhr es Grey.
    Es herrschte plötzliche Stille, während es Hal zu dämmern begann. Er war bleich geworden.
    »Du glaubst doch nicht – nein! Wie sollte das möglich sein?«
    »Indem

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