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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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… äh … man die Leiche gegen einen Zentner Steine austauscht, kurz bevor der Sarg zugenagelt wird, üblicherweise – zumindest habe ich das gehört«, sagte Grey, so deutlich er konnte, während ihm Dottie die Faust in die Nase steckte.
    Hal schluckte. Grey konnte sehen, wie ihm die Härchen am Handgelenk zu Berge standen.
    »Ich werde Harry fragen«, sagte Hal nach einer kurzen Pause. »Sie können das Begräbnis noch nicht arrangiert haben, und falls …«
    Die beiden Brüder erschauerten unwillkürlich, während sie sich nur zu genau ausmalten, wie ein aufgebrachtes Familienmitglied darauf bestand, den Sargdeckel zu öffnen, um dann festzustellen …
    »Vielleicht lieber nicht«, sagte Grey und schluckte. Dottie versuchte jetzt nicht mehr, ihm die Nase zu amputieren, sondern patschte ihm stattdessen auf die Lippen, während er redete. Wie sich das auf seiner Haut anfühlte …
    Er löste sie vorsichtig und reichte sie Hal zurück.
    »Ich weiß nicht, was Charles Carruthers glaubt, wie ich ihm nützen könnte – aber gut, ich fahre hin.« Er richtete den Blick auf Lord Enderbys Brief, auf Carolines zerknitterte Nachricht. »Ich nehme an, es gibt wohl Schlimmeres, als von Indianern skalpiert zu werden.«
    Hal nickte nüchtern.
    »Ich habe deine Überfahrt schon arrangiert. Du reist morgen ab.« Er stand auf und hob Dottie hoch. »Da, Schätzchen. Gib deinem Onkel John einen Abschiedskuss.«
    SO KAM ES, dass Grey einen Monat später von Bord der Harwood ging. Mit Tom Byrd an seiner Seite bestieg er eins der kleinen Boote, das sie gemeinsam mit dem Bataillon der Louisbourg-Grenadiere, mit dem sie gereist waren, auf einer großen Insel nahe der Mündung des St.-Lorenz-Stroms an Land bringen würde.
    Es war der größte Fluss, den er je gesehen hatte, fast eine halbe Meile breit und sehr tief, im Sonnenlicht von einem dunklen Schwarzblau. Auf beiden Seiten des Flusses erhoben sich gewaltige Klippen und gewellte Hügel, die so dicht bewaldet waren, dass der Fels darunter so gut wie unsichtbar war. Es war heiß, und ein leuchtender Himmel spannte sich über ihnen, viel klarer und größer, als er es je anderswo gesehen hatte. Aus der üppigen Vegetation hallte ein lautes Summen wider – Insekten vermutlich, Vögel und das Rauschen des Wassers, obwohl es sich so anfühlte, als sänge die Wildnis vor sich hin mit einer Stimme, die er nur in seinem Innersten hörte. Tom vibrierte an seiner Seite geradezu vor Aufregung und sah sich mit Stielaugen um, damit ihm nur ja nichts entging.
    »Da, ist das ein Indianer?«, flüsterte er und beugte sich im Boot dicht zu Grey hinüber.
    »Etwas anderes kann er wohl kaum sein«, erwiderte Grey, denn der Herr, der sich da am Landeplatz herumdrückte, war nackt bis auf einen Lendenschurz, eine gestreifte Decke, die er sich über die Schulter geschlungen hatte, und eine Schicht, die dem Glanz seiner Gliedmaßen nach eine Art Fett zu sein schien.
    »Ich dachte, sie würden röter sein«, sagte Tom und verlieh damit Greys Gedanken Ausdruck. Natürlich war die Haut des Indianers um einiges dunkler als die seine, doch ihre Farbe war ein schönes Hellbraun, das an getrocknete Eichenblätter erinnerte. Der Indianer schien sie beinahe genauso interessant zu finden wie sie ihn; vor allem Grey betrachtete er gebannt und abwägend.
    »Es ist Euer Haar, Mylord«, zischte Tom Grey ins Ohr. »Ich habe Euch doch gesagt, Ihr solltet eine Perücke tragen.«
    »Unsinn, Tom.« Gleichzeitig jedoch empfand Grey ein seltsames Kribbeln im Rücken, das ihm die Kopfhaut zusammenzog. Weil er nun einmal eitel war, was sein dichtes blondes Haar betraf, trug er normalerweise keine Perücke, sondern band sich bei offiziellen Anlässen das eigene Haar zusammen und puderte es. Der gegenwärtige Anlass war alles andere als offiziell. Da frisches Wasser an Bord gebracht worden war, hatte Tom heute Morgen darauf bestanden, ihm das Haar zu waschen, und es lag ihm noch lose auf den Schultern, obwohl es längst getrocknet war.
    Das Boot lief knirschend auf den Uferkies, und der Indianer warf seine Decke ab und kam herbei, um den Männern dabei zu helfen, es an Land zu schieben. Grey fand sich an seiner Seite wieder, dicht genug, um ihn zu riechen. Grey war noch nie einem Menschen begegnet, der so roch; wie Wild, gewiss – er fragte sich mit leiser Erregung, ob das Fett, das der Mann am Körper trug, vielleicht Bärenschmalz war –, jedoch vermischt mit dem Geruch von Kräutern und Schweiß, wie frisch zerschnittenes

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