Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
sprechen.« Tom hatte das Zimmer durchquert und richtete den Blick strafend auf die Überreste von Greys Hemd und Hose, die mit Gras, Schlamm, Blut und Pulver befleckt waren und die Grey achtlos über die Stuhllehne geworfen hatte. Er wandte sich tadelnd zu Grey um, der daraufhin die Augen schloss und sich zu erinnern versuchte, was genau die Ereignisse des gestrigen Abends gewesen waren.
Er fühlte sich irgendwie seltsam. Nicht betrunken, er war nicht betrunken gewesen; er hatte keine Kopfschmerzen, kein Bauchgrimmen …
»Gestern Abend«, wiederholte er unsicher. Der gestrige Abend war verwirrend gewesen, doch er konnte sich daran erinnern. Die Gesellschaft mit dem Aal, Lucinda Joffrey, Caroline … warum in aller Welt sollte das Hal interessieren … was, das Duell? Warum sollte sich sein Bruder wegen einer solch albernen Angelegenheit sorgen – und selbst wenn es so war, warum tauchte er dann in aller Herrgottsfrühe mit seiner sechs Monate alten Tochter bei Grey auf?
Es war eher die Tageszeit als die Anwesenheit des Kindes, die ungewöhnlich war; sein Bruder ging oft mit seiner Tochter aus, mit der fadenscheinigen Ausrede, das Kind brauche Luft. Seine Frau beschuldigte ihn, mit dem Baby angeben zu wollen – die Kleine war bildhübsch –, doch Grey vermutete, dass der Grund sehr viel einfacher war. Sein todesmutiger, autokratischer, diktatorischer Bruder, Oberst eines eigenen Regimentes, der Schrecken seiner eigenen Männer wie auch seiner Feinde – hatte sich in seine Tochter über beide Ohren verliebt. Das Regiment würde in einem Monat neu stationiert werden. Hal konnte es schlicht nicht ertragen, sie derzeit aus den Augen zu lassen.
So traf er den Herzog von Pardloe auf einem Sessel im Salon an, auf dem Arm Lady Dorothea Jacqueline Benedicta Grey, die an einem Zwieback kaute, den ihr Vater ihr hinhielt. Auf dem Tisch neben dem Herzog lagen ihr feuchtes Seidenhäubchen, ihr winziger Kaninchenfellschlafsack und mehrere Briefe, von denen einige bereits geöffnet waren.
Hal blickte zu ihm auf.
»Ich habe dir Frühstück bestellt. Sag deinem Onkel John guten Tag, Dottie.« Sanft drehte er das Baby um. Es wandte den Blick zwar nicht von seinem Zwieback ab, stieß aber ein leises Zwitschern aus.
»Hallo, Schätzchen.« John beugte sich vor und küsste die Kleine auf den Kopf, der mit feinem blondem Haarflaum bedeckt und etwas feucht war. »Machst du mit Papa einen schönen Ausflug im strömenden Regen?«
»Wir haben dir etwas mitgebracht.« Hal griff nach dem geöffneten Brief und reichte ihn seinem Bruder mit hochgezogener Augenbraue.
Grey zog seinerseits die Augenbraue hoch und begann zu lesen.
»Was!« Er blickte mit offenem Mund von dem Blatt auf.
»Ja, das habe ich auch gesagt«, pflichtete ihm Hal gutmütig bei, »als er vor Tagesanbruch bei mir abgegeben wurde.« Er griff nach dem versiegelten Brief und balancierte dabei vorsichtig das Baby. »Hier, das ist deiner. Er kam kurz nach Tagesanbruch.«
Grey ließ den ersten Brief fallen, als stünde er in Flammen, ergriff den zweiten und riss ihn auf.
»Oh John«, stand dort ohne Umschweife, » verzeiht mir, ich konnte ihn nicht aufhalten, es tut mir so leid, ich habe ihm gesagt, er soll es nicht tun, aber er hat nicht auf mich gehört. Ich würde ja davonlaufen, aber ich weiß nicht, wohin. Bitte, bitte, tut etwas!« Er war nicht unterzeichnet, doch das war auch nicht nötig. Er hatte Caroline Woodfords Handschrift trotz des hektischen Gekritzels erkannt. Das Papier war fleckig und gewellt – von Tränen?
Er schüttelte heftig den Kopf, um seine Gedanken zu ordnen, dann griff er noch einmal nach dem ersten Brief. Der Inhalt war immer noch derselbe wie beim ersten Lesen – von Lord Alfred Enderby an Seine Durchlaucht: Er forderte den Herzog von Pardloe in aller Form auf, ihm für die Ehrverletzung seiner Schwester, Miss Caroline Woodford, mittels seines Bruders Lord John Grey Genugtuung zu leisten.
Grey blickte mehrfach von einem Dokument zum anderen, dann sah er seinen Bruder an.
»Anscheinend hattest du einen ereignisreichen Abend«, sagte Hal und bückte sich mit einem leisen Stöhnen, um den Zwieback aufzuheben, der Dottie auf den Teppich gefallen war. »Nein, Schätzchen, den isst du besser nicht mehr.«
Dottie war eindeutig anderer Meinung und ließ sich erst ablenken, als Onkel John sie in den Arm nahm und ihr ins Ohr pustete.
»Ereignisreich«, wiederholte er. »Ja, das war er. Aber das Einzige, was ich mit Caroline Woodford gemacht
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