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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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überbracht wurde, würde sein Name ohnehin bald bekannt sein.
    »Ich frage mich, Madame – da Ihr ja jeden in Paris kennt«, er verneigte sich leicht vor ihr, und sie erwiderte die Geste elegant, »ist Euch vielleicht ein gewisser Herr vertraut, den man als Maître Raymond kennt? Manche nennen ihn den Frosch«, fügte er hinzu.
    Sie kniff die Augen zusammen, dann setzte sie eine belustigte Miene auf.
    »Ihr seid auf der Suche nach dem Frosch?«
    »Ja. Ist daran etwas Komisches?« Er griff in den Sack und fischte erneut nach einer Ratte.
    »Schon. Ich sollte Euch das vielleicht nicht erzählen, aber angesichts Eures zuvorkommenden Verhaltens …« Sie blickte selbstzufrieden auf die Geldbörse, die er neben ihre Teeschale gelegt hatte und die eine großzügige Anzahlung enthielt. » Maître Grenouille ist auf der Suche nach Euch .«
    Er erstarrte, eins der Pelztiere innerhalb des Sacks fest in der Hand.
    »Was? Ihr habt ihn gesehen?«
    Sie schüttelte den Kopf, stellte ihr leeres Glas ab und klingelte nach ihrer Zofe.
    »Nein, aber ich habe es von zwei Personen gehört.«
    »Er hat sich mit Namen nach mir erkundigt?« Rakoczys Herz schlug schneller.
    »Monsieur le Comte St. Germain. Das seid Ihr doch?« In ihrer Stimme lag nicht mehr als schwache Neugier; in ihrem Handwerk waren falsche Namen an der Tagesordnung.
    Er nickte, denn sein Mund war plötzlich zu trocken zum Sprechen, und er zog die Ratte aus dem Sack. Sie wand sich plötzlich in seiner Hand, sein Daumen schmerzte durchdringend, und er schleuderte sie von sich.
    » Sacrebleu ! Sie hat mich gebissen!«
    Von ihrem Aufprall benommen torkelte die Ratte über den Boden auf Leopold zu, der jetzt schneller zu züngeln begann. Doch Fabienne stieß ein angewidertes Geräusch aus und warf mit einer silbernen Haarbürste nach der Ratte. Das Scheppern erschreckte die Ratte, die mit einem krampfhaften Satz in die Luft fuhr, direkt auf dem Kopf der erstaunten Schlange landete, darüber hinwegrannte und zur Tür hinaus im Foyer verschwand, wo sie – dem Aufschrei nach – der Zofe begegnete, bevor sie endlich auf die Straße entfloh.
    » Jésus Marie «, sagte Madame Fabienne und bekreuzigte sich fromm. »Eine wundersame Auferstehung. Und das zwei Monate nach Ostern.«
    DIE ÜBERFAHRT VERLIEF REIBUNGSLOS; die Küste Frankreichs kam am nächsten Tag kurz nach dem Morgengrauen in Sicht. Joan sah sie als flachen dunkelgrünen Streifen am Horizont und spürte trotz ihrer Müdigkeit einen leisen Stoß der Erregung.
    Sie hatte nicht geschlafen, obwohl sie nach Anbruch der Dunkelheit widerstrebend unter Deck gegangen war, wo sie sich in ihren Umhang und ihr Schultertuch gehüllt und sich bemüht hatte, den Blick nicht auf den jungen Mann mit dem Schatten im Gesicht zu werfen. Die ganze Nacht hatte sie dagelegen, dem Schnarchen und Ächzen ihrer Mitpassagiere gelauscht und hartnäckig gebetet, während sie sich verzweifelt fragte, ob Beten das Einzige war, was sie tun konnte, um zu helfen.
    Sie fragte sich oft, ob es an ihrem Namen lag. Als Kind war sie stolz auf ihren Namen gewesen; es war der Name einer Heldin, einer Heiligen, aber auch einer Kriegerin. Ihre Mutter hatte ihr das wieder und wieder gesagt. Sie glaubte nicht, dass ihre Mutter darüber nachgedacht hatte, dass der Name auch verflucht sein könnte.
    Andererseits widerfuhr dies doch nicht jedem, der Joan hieß, oder? Sie wünschte, sie würde noch eine andere Joan kennen, die sie fragen könnte. Denn wenn es ihnen allen so ging, würden auch die anderen darüber schweigen, genau wie sie.
    Man ging nicht einfach los und erzählte anderen, dass man Stimmen hörte, die nicht da waren. Erst recht nicht, dass man Dinge sah, die nicht da waren. Das tat man einfach nicht.
    Wie jeder in den Highlands hatte sie natürlich schon einmal von einer Seherin gehört. Und fast jeder, den sie kannte, behauptete, er hätte eine Erscheinung gesehen oder eine Vorahnung gehabt, dass Angus MacWheen tot war, als er damals im letzten Winter nicht nach Hause gekommen war. Die Tatsache, dass Angus MacWheen ein dreckiger alter Trunkenbold und so krank und durcheinander war, dass die Chancen, dass er starb, täglich aufs Neue fünfzig zu fünfzig standen, geschweige denn, wenn es so kalt wurde, dass der See gefror, hatte natürlich nichts damit zu tun.
    Aber sie war noch nie einer Seherin begegnet, das war das Problem. Wie fing man so etwas an? Sagte man einfach zu den Leuten: »Übrigens … ich bin Seherin«, und sie nickten und

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