Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
ihn haben sollen, doch sie wusste keine.
Sie ist bei Gott? Das war die Wahrheit, hoffte sie, und doch zählte für diesen jungen Mann eindeutig nur die Tatsache, dass seine Frau nicht bei ihm war.
»Was ist mit ihr geschehen?«, fragte sie stattdessen unverblümt, weil es einfach wichtig zu sein schien, etwas zu sagen.
Er holte tief Luft und schien ein wenig zu schwanken; sie sah, dass er den restlichen Wein getrunken hatte, und nahm ihm die leere Flasche aus der Hand, um sie über Bord zu werfen.
»Influenza. Alle haben gesagt, es sei schnell gegangen. Es ist mir zwar nicht so vorgekommen – und doch ist es wohl so gewesen. Es hat zwei Tage gedauert, und Gott weiß, dass ich mich an jede einzelne Sekunde dieser beiden Tage erinnern kann – und doch scheint es, als hätte ich sie von einem Herzschlag zum nächsten verloren. Und ich – ich suche sie immer noch, in dieser Stille des Herzens.«
Er schluckte.
»Sie – sie war …« Das Wort »schwanger« kam so leise, dass sie es kaum hörte.
»Oh«, sagte Joan leise, tief gerührt. »Oh, a chuisle .« Das bedeutete »Herzensblut«, und was sie meinte, war, dass seine Frau das für ihn gewesen war … Guter Gott, sie hoffte, er hatte nicht gedacht, sie hätte gemeint … Nein, das hatte er nicht, und der Krampf in ihrem Rücken ließ ein wenig nach, als sie seine dankbare Miene sah. Er wusste, was sie gemeint hatte, und schien froh zu sein, dass sie ihn verstanden hatte.
Blinzelnd wandte sie den Blick ab – und sah den jungen Mann, auf dem der Schatten lastete, ein Stückchen weiter an der Reling lehnen. Bei seinem Anblick stockte ihr der Atem.
Im Morgenlicht war der Schatten tiefer. Die Sonne begann, das Deck zu wärmen, feine weiße Wolken schwammen im Blau des klaren französischen Himmels, und doch schien der Nebel sich jetzt kreiselnd zu verdichten, das Gesicht des jungen Mannes zu verhüllen, sich um seine Schultern zu legen wie ein Tuch.
Lieber Gott, sag mir, was ich tun soll ! Ihr Körper zuckte, so gern wäre sie zu dem jungen Mann gegangen, hätte ihn angesprochen. Doch um was zu sagen? Ihr seid in Gefahr, seid vorsichtig ? Er würde sie für verrückt halten. Und wenn es eine Gefahr war, gegen die er nichts ausrichten konnte wie bei dem kleinen Ronnie und dem Ochsen, was konnte es da ändern, wenn sie etwas sagte?
Ihr war dumpf bewusst, dass Michael sie neugierig anstarrte. Er sagte etwas zu ihr, doch sie hörte nicht zu, lauschte stattdessen angestrengt in ihren Kopf hinein. Wo waren die verdammten Stimmen, wenn man eine brauchte , zum Kuckuck?
Doch die Stimmen schwiegen hartnäckig, und sie wandte sich Michael zu. Die Muskeln ihres Arms zitterten, so hatte sie sich an die Takelage geklammert.
»Entschuldigung«, sagte sie. »Ich habe nicht richtig zugehört. Mir war gerade – ein Gedanke gekommen.«
»Wenn es etwas ist, wobei ich Euch helfen kann, Schwester, braucht Ihr nur zu fragen«, sagte er und lächelte schwach. »Oh! Und was das betrifft, so wollte ich Euch noch mitteilen – ich habe Eurer Mutter gesagt, wenn Sie Euch zu meinen Händen bei Fraser et Cie Briefe schreiben möchte, würde ich dafür sorgen, dass Ihr sie bekommt.« Er zuckte mit der Schulter. »Ich weiß ja nicht, wie die Regeln im Konvent sind, aye? Was Briefe von draußen betrifft.«
Joan wusste es ebenfalls nicht und hatte sich schon Sorgen gemacht. Sie war so erleichtert, das zu hören, dass sich ein Lächeln über ihr Gesicht breitete.
»Oh, das ist so gütig von Euch!«, sagte sie. »Und wenn ich – vielleicht zurückschreiben könnte …?«
Er lächelte, und die Freude, ihr einen Gefallen zu tun, glättete die Spuren seines Schmerzes.
»Jederzeit«, versicherte er ihr. »Ich kümmere mich darum. Vielleicht könnte ich …«
Ein heiserer Schrei durchschnitt die Luft, und Joan blickte erschrocken auf. Sie dachte, es sei einer der Meeresvögel, die von der Küste gekommen waren und das Schiff umkreisten. Doch so war es nicht. Es war der junge Mann, der auf der Reling stand, eine Hand an der Takelage, und bevor sie auch nur Luft holen konnte, ließ er los und war fort.
Paris
MICHAEL MACHTE SICH SORGEN UM JOAN; sie saß zusammengesunken in der Kutsche und raffte sich erst dazu auf, aus dem Fenster zu schauen, als ihr die Frühlingsbrise sacht ins Gesicht wehte. Der Geruch war so erstaunlich, dass er sie aus dem Schneckenhaus ihres schockierten Elends hervorlockte, in dem sie seit ihrer Landung steckte.
»Heilige Muttergottes!«, sagte sie und schlug sich
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