Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
»Glaubt Ihr, er schuldet Charles Geld?«
»Ich weiß es nicht, aber ich werde es gern für Euch herausfinden«, versprach Michael. »Wenn Ihr mir sagen könnt, wo ich Monsieur le Comte finde.«
Sie lachte zwar nicht, doch ihr Mund verzog sich zu etwas, das in einer anderen Stimmung vielleicht Humor gewesen wäre.
»Er wohnt auf der anderen Straßenseite.« Sie zeigte aus dem Fenster. »Dort in dem riesigen Steinhaufen … Wohin geht Ihr denn?«
Doch Michael war schon zur Tür hinaus und hastete so durch den Flur, dass seine Absätze auf dem Parkett klapperten.
ES KAMEN SCHRITTE die Treppe herauf. Joan fuhr vom Fenster zurück, reckte sich dann aber noch einmal hinüber und wünschte sich verzweifelt, die Tür auf der anderen Straßenseite würde sich öffnen und Michael auf die Straße entlassen. Was machte er nur hier?
Diese Tür öffnete sich zwar nicht, doch in der Tür des Zimmers klapperte ein Schlüssel. Verzweifelt riss sie sich den Rosenkranz vom Gürtel und schob ihn durch das Loch im Fenster, dann huschte sie durch das Zimmer und warf sich auf einen der abstoßenden Sessel.
Es war der Graf. Im ersten Moment sah er sich besorgt um, dann sah er sie, und sein Gesicht entspannte sich. Er kam auf sie zu und hielt ihr die Hand entgegen.
»Ich bedaure, dass ich Euch habe warten lassen, Mademoiselle«, sagte er sehr höflich. »Kommt bitte. Ich habe etwas, das ich Euch zeigen möchte.«
»Ich will es aber nicht sehen.« Sie spannte sich ein wenig an und zog die Füße ein, um es ihm zu erschweren, sie hochzuheben. Wenn sie ihn doch nur aufhalten könnte, bis Michael herauskam! Doch es war gut möglich, dass er ihren Rosenkranz nicht sah – oder selbst dann nicht wusste, dass es der ihre war. Warum sollte er auch. Ein Nonnenrosenkranz sah sowieso aus wie der andere!
Sie lauschte angestrengt, weil sie hoffte, Aufbruchsgeräusche von der anderen Straßenseite zu hören – sie würde sich die Lunge aus dem Leib schreien. Eigentlich …
Der Graf seufzte schwach, doch dann bückte er sich, nahm sie an den Ellbogen und dirigierte sie einfach senkrecht, wobei sie ihre Knie immer noch absurd angewinkelt hatte. Er war wirklich sehr stark. Sie drückte die Beine gottergeben in eine normale Position – und da war sie nun und ließ sich mit der Hand in seiner Ellenbeuge durch das Zimmer zur Tür führen, friedlich wie eine Kuh auf dem Weg zum Melken! Im nächsten Moment hatte sie sich jedoch entschlossen, riss sich los und rannte zu dem eingeschlagenen Fenster hinüber.
»HILFE!«, brüllte sie durch die zerbrochene Scheibe. »Helft mir, helft mir! Au secours , meine ich! AU SECOU…« Die Hand des Grafen legte sich vor ihren Mund, und er sagte etwas auf Französisch, was gewiss Schimpfwörter waren. Er hob sie so schnell hoch, dass es ihr den Atem verschlug, und war mit ihr zur Tür hinaus, bevor sie auch nur noch einen Ton von sich geben konnte.
MICHAEL HIELT SICH NICHT mit Hut oder Umhang auf, sondern platzte so heftig auf die Straße hinaus, dass sein Kutscher aus dem Halbschlaf auffuhr und die Pferde protestierend zuckten und wieherten. Auch damit hielt er sich nicht auf, sondern schoss über das Pflaster und hämmerte an die Tür des Hauses, ein riesiges, mit Bronze überzogenes Exemplar, das unter seinen Fäusten erdröhnte.
Es konnte nicht sehr lange gedauert haben, doch es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Er kochte vor Wut, hämmerte erneut an die Tür, hielt inne, um Atem zu holen, und erblickte den Rosenkranz auf dem Bordstein. Er lief hin, um ihn aufzuheben, ritzte sich die Hand und sah, dass er in einem Häuflein Glasscherben lag. Sofort blickte er suchend auf und sah das zerbrochene Fenster im selben Moment, als sich die große Tür öffnete.
Er stürzte sich auf den Butler wie eine Wildkatze und packte ihn bei den Armen.
»Wo ist sie? Wo, verdammt?«
»Sie? Aber es gibt keine Sie, Monsieur … Monsieur le Comte lebt ganz allein. Ihr …«
»Wo ist denn Monsieur le Comte?« Michael war so aufgeregt, dass er das Gefühl hatte, er würde gleich auf den Mann einprügeln. Der Mann spürte das anscheinend auch, denn er erbleichte, wand sich los und floh in die Tiefen des Hauses. Nachdem er höchstens eine Sekunde gezögert hatte, setzte Michael ihm nach.
Der Butler, dessen Füße von der Angst angetrieben wurden, flüchtete durch den Eingangsflur, und Michael verfolgte ihn grimmig. Der Mann raste durch die Tür in die Küche; dumpf war sich Michael der schockierten Gesichter der Köche und Mägde
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