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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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selbst Beine bekommen. Es war allerdings die Stelle, von der die übelsten Gerüche kamen; etwas, das wie angebranntes Haar mit Melasse roch, und etwas anderes, Scharfes, das ihr die Haare in der Nase aufrollte, so als ob jemand in einem Abort nach Salpeter grub. Doch neben dem langen Tisch, auf dem all diese sinistren Dinge aufgereiht lagen, entdeckte sie ein kleines Fenster , das sie auf der Stelle anzog.
    Der große Fluss – Michael hatte ihn die Seine genannt – war direkt vor ihr, und der Anblick der Boote und Menschen beruhigte sie ein wenig. Sie legte eine Hand auf den Tisch, um sich dichter ans Fenster zu beugen, doch sie berührte etwas Klebriges und riss die Hand zurück. Sie schluckte und beugte sich vorsichtig vor. Das Fenster war von innen vergittert. Sie sah sich um und stellte nun fest, dass es noch mehr solche kleinen Fenster gab, aber alle ebenso vergittert.
    Was im Namen der Heiligen Jungfrau glaubte dieser Mann denn, was oder wer versuchen würde, hier einzudringen? Gänsehaut raste ihr über den Rücken und breitete sich auf ihren Armen aus, während ihre Fantasie ihr augenblicklich eine Vision fliegender Dämonen zeigte, die nachts über der Straße schwebten und mit den Flügeln an die Fenster schlugen. Oder – lieber Gott im Himmel! – diente das Gitter etwa dazu, die Möbel im Haus zu halten?
    Es gab einen recht normal aussehenden Hocker; sie ließ sich darauf niedersinken, schloss die Augen und betete mit großer Inbrunst. Nach einer Weile erinnerte sie sich wieder daran zu atmen, und nach einer weiteren Weile konnte sie auch wieder denken und erschauerte nur noch hin und wieder.
    Eigentlich hatte er sie gar nicht bedroht. Er hatte ihr auch nichts getan – hatte ihr nur die eine Hand vor den Mund gehalten und den anderen Arm um sie gelegt, sie mit sich geschleift und sie schließlich mit einer schockierend vertraulichen Berührung ihres Hinterns in seine Kutsche geschubst, obwohl sie auch dabei nicht das Gefühl gehabt hatte, dass er vorhatte, sich ihr anzunähern.
    In der Kutsche hatte er sich vorgestellt, sich kurz für die Unannehmlichkeit entschuldigt – Unannehmlichkeit? Was für eine Dreistigkeit! – und sie dann bei beiden Händen genommen und ihr gebannt ins Gesicht geschaut, während er ihre Hände fester und fester umklammerte. Er hatte sich ihre Hände vor das Gesicht gehoben, als wollte er daran riechen oder sie küssen, doch dann hatte er sie losgelassen, die Stirn tief gerunzelt.
    Er hatte all ihre Fragen ignoriert, genau wie ihr Beharren, zum Kloster zurückgebracht zu werden. Ein paar Minuten lang schien er sogar beinahe zu vergessen, dass sie da war, und ließ sie zusammengekauert unbeachtet in ihrer Ecke sitzen, während er konzentriert über etwas nachdachte und dabei lautlos die Lippen bewegte. Sie hatte daran gedacht hinauszuspringen – hatte fast schon den Mut aufgebracht, nach dem Türgriff zu fassen, obwohl die Kutsche so schnell dahinraste, dass sie dabei mit großer Sicherheit umkommen würde –, doch dann hatte sich sein Blick erneut auf sie gerichtet und sie auf dem Sitz festgeheftet, als hätte er ihr mit einer Stricknadel die Brust durchbohrt.
    »Der Frosch«, sagte er eindringlich. »Ihr kennt doch den Frosch, oder?«
    »Diverse Frösche«, hatte sie gesagt und gedacht, dass sie am besten einfach mitspielte, wenn er verrückt war. »Die meisten sind grün.«
    Seine Nasenlöcher hatten sich in plötzlicher Wut gebläht, und sie hatte sich tiefer in den Sitz gedrückt. Doch dann hatte er geschnaubt und sie erneut brütend angestarrt. Einmal war er aus seinen Gedanken aufgetaucht, um zu sagen: »Es sind nicht alle Ratten gestorben«, und zwar in einer Art anklagendem Ton, als sei das ihre Schuld.
    Ihr Mund war so trocken, dass sie kaum sprechen konnte, doch sie schaffte ein: »Oh? Habt Ihr es denn mit Rattengift versucht?« Doch sie hatte Englisch gesprochen, zu durcheinander, um nach französischen Worten zu suchen, und er schien keine Notiz davon zu nehmen.
    Und dann hatte er sie hier hinaufgeschleift, ihr knapp gesagt, dass ihr nichts zustoßen würde, dann in aller Ruhe diese Bemerkung hinzugefügt, dass er ein Zauberer sei, und hatte sie eingeschlossen!
    Sie war voller Angst – und Entrüstung. Doch jetzt, da sie sich ein wenig beruhigt hatte, glaubte sie ihm, dass er nicht vorhatte, ihr etwas anzutun. Er hatte sie nicht bedroht oder versucht, ihr Angst zu machen. Nun, natürlich hatte er ihr Angst gemacht, aber das schien nicht seine Absicht gewesen

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