Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
Schweißfilm überzog seinen Körper. Doch er fühlte sich zu schlaff, um aufzustehen und die Tür zur Terrasse zu öffnen; einen Moment noch, dann würde er es tun.
Er schloss die Augen wieder – dann riss er sie abrupt auf, sprang aus dem Bett und griff nach dem Dolch, den er auf dem Tisch liegen hatte. Der Bedienstete namens Rodrigo stand zwischen den Vorhängen dicht an den Rahmen der offen stehenden Glastür gepresst, und das Weiße seiner Augen malte sich in seinem schwarzen Gesicht ab.
»Was wollt Ihr?« Grey ließ den Dolch sinken, ließ jedoch die Hand darauf liegen. Sein Herz raste immer noch.
»Ich habe eine Nachricht für Euch, Sah«, sagte der junge Mann. Er schluckte hörbar.
»Ach ja? Kommt ins Licht, wo ich Euch sehen kann.« Grey griff nach seinem Morgenrock und schlüpfte hinein, ohne den Mann aus den Augen zu lassen.
Rodrigo löste sich sichtlich widerstrebend von der Tür, doch er war hier, um etwas zu sagen, und das würde er auch tun. Er trat in den Kreis aus gedämpftem Kerzenlicht, und die Hände an den Seiten griffen nervös nach der Luft.
»Wisst Ihr, Sah, was ein Obeah-Mann ist?«
»Nein.«
Das brachte Rodrigo sichtlich aus der Fassung. Er blinzelte und verzog die Lippen, weil er offenbar nicht wusste, wie er dieses Wesen beschreiben sollte. Schließlich zuckte er hilflos mit den Achseln und gab auf.
»Er sagt zu Euch, hütet Euch.«
»Ach ja?«, sagte Grey trocken. »Vor irgendetwas im Besonderen?«
Das schien zu helfen; Rodrigo nickte heftig.
»Haltet Euch nicht in der Nähe des Gouverneurs auf. Bleibt ihm fern, so weit Ihr könnt. Er wird – ich meine … es könnte etwas Schlimmes passieren. Bald. Er …« Der Bedienstete brach plötzlich ab, weil er anscheinend begriff, dass man ihn entlassen konnte – wenn nicht Schlimmeres –, wenn er so respektlos über den Gouverneur sprach. Doch Grey war jetzt mehr als neugierig und setzte sich. Er wies Rodrigo den Hocker zu, auf welchen sich der Mann mit offensichtlichem Widerstreben setzte.
Was auch immer ein Obeah-Mann war, dachte Grey, er hatte eindeutig beträchtliche Macht, wenn er Rodrigo zu etwas zwingen konnte, was dieser so eindeutig nicht wollte. Das Gesicht des jungen Mannes glänzte vor Schweiß, und seine Hände klammerten sich unwillkürlich um das Tuch seines Rockes.
»Sagt mir, was der Obeah-Mann gesagt hat«, sagte Grey und beugte sich gebannt vor. »Ich verspreche Euch, dass ich es niemandem verrate.«
Rodrigo schluckte, nickte aber. Er senkte den Kopf und schaute den Tisch an, als könnte das richtige Wort in der Körnung des Holzes geschrieben stehen.
»Zombie«, murmelte er beinahe unhörbar. »Die Zombies kommen ihn holen. Den Gouverneur.«
Grey hatte keine Ahnung, was ein Zombie sein könnte, doch das Wort wurde in einem Tonfall ausgesprochen, bei dem es ihn kalt überlief, plötzlich, wie ein Blitz in der Ferne.
»Zombie«, wiederholte er vorsichtig. Weil ihm wieder einfiel, wie der Gouverneur vorhin reagiert hatte, fragte er: »Ist ein Zombie vielleicht eine Schlange?«
Rodrigo keuchte auf, doch dann schien seine Anspannung ein wenig nachzulassen.
»Nein, Sah«, sagte er ernst. »Zombies sind Tote.« Dann stand er auf, verbeugte sich abrupt und ging, denn er hatte seine Nachricht überbracht.
WENIG ÜBERRASCHENDERWEISE SCHLIEF GREY nach diesem Besuch erst recht nicht mehr ein.
Er hatte es schon mit deutschen Nachthexen und indianischen Gespenstern zu tun gehabt und ein oder zwei Jahre in den schottischen Highlands verbracht. Daher war er mit wildem Aberglauben besser vertraut als die meisten anderen Menschen. Zwar neigte er nicht dazu, jeder örtlichen Sitte und Legende automatisch Glauben zu schenken, doch ebenso wenig neigte er dazu, solche abergläubischen Vorkommnisse einfach abzutun. Glaube und Aberglaube ließen die Menschen Dinge tun, die sie sonst nicht tun würden – und ob der Glaube nun Substanz hatte oder nicht, die daraus folgenden Handlungen hatten sie mit Sicherheit.
Obeah-Männer und Zombies hin oder her, Gouverneur Warren sah sich eindeutig einer Bedrohung gegenüber – und er ging sehr davon aus, dass der Gouverneur wusste, worin diese bestand.
Doch wie ernst war diese Bedrohung? Er drückte die Kerzenflamme aus und blieb einen Moment in der Dunkelheit sitzen, bis sich seine Augen daran gewöhnt hatten, dann erhob er sich und trat auf leisen Sohlen an die nach wie vor offene Glastür, durch die Rodrigo verschwunden war.
Die Gästezimmer des King’s House waren
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