Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
diese ab, ohne auf Toms Hilfestellung zu warten. Er blieb nackt in der Mitte des Zimmers stehen, schloss die Augen und genoss die Berührung des Luftzugs von der Terrasse auf seiner bloßen Haut.
Die Luft hatte etwas Bemerkenswertes an sich. Trotz der Wärme, und selbst im Hausinneren hatte sie etwas Seidiges an sich, das vom Meer und von klarem blauem Wasser erzählte. Von seinem Zimmer aus konnte er das Wasser nicht sehen; selbst wenn es von Spanish Town aus zu sehen gewesen wäre, blickte sein Zimmer auf einen Hügel hinaus, der mit Dschungel bewachsen war. Doch er konnte es spüren und sehnte sich plötzlich danach, durch die Brandung hinauszuwaten und in die reine Kühle des Ozeans einzutauchen. Die Sonne war jetzt fast untergegangen, und die Rufe der Papageien und der anderen Vögel wurden jetzt seltener.
Er schaute unter das Bett, doch die Schlange sah er nicht. Vielleicht hielt sie sich ganz hinten im Schatten auf; vielleicht hatte sie sich auch auf die Suche nach mehr Schinken begeben. Er richtete sich auf, räkelte sich wohlig, dann schüttelte er sich und stand blinzelnd da, etwas benommen von zu viel zu essen und zu trinken und vom Schlafmangel. Er hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden dank der Landung, des Ausschiffens und der Reise zum King’s House nur knapp drei Stunden geschlafen.
Sein Verstand schien sich vorerst verabschiedet zu haben, doch das spielte keine Rolle; er würde sich gleich zurückmelden. Unterdessen hatte sein Körper das Kommando übernommen; keine sehr verantwortungsbewusste Vorgehensweise.
Er fühlte sich erschöpft, aber unruhig und kratzte sich geistesabwesend an der Brust. Seine Wunden waren völlig verheilt, schwach spürbare Wülste unter seinen Fingern, die sich im Zickzack durch das blonde Brusthaar zogen. Einer davon lief keine drei Zentimeter an seiner linken Brustwarze vorbei; ein Glück, dass er sie nicht verloren hatte.
Ein immenser Berg aus Gaze lag auf seinem Bett. Das musste das Moskitonetz sein, das ihm Mr. Dawes beim Abendessen beschrieben hatte – die Vorhangskonstruktion, die das gesamte Bett umschließen und den Insassen so vor den Beutezügen blutrünstiger Insekten schützen sollte.
Nach dem Abendessen hatte er noch ein wenig Zeit mit Fettes und Cherry verbracht und die Pläne für den morgigen Tag erörtert. Cherry würde Richter Peters einen Besuch abstatten und Einzelheiten über die Festnahme der Schwarzen in Erfahrung bringen. Fettes würde Männer nach King’s Town entsenden, die den pensionierten ehemaligen Superintendenten Mr. Ludgate ausfindig machen sollten; falls er zu finden war, wollte Grey gern hören, was der Mann von seinem Nachfolger hielt. Was besagten Nachfolger betraf – falls es Dawes nicht gelang, Hauptmann Cresswell bis zum Ende des morgigen Tages aufzuspüren … Grey gähnte unwillkürlich, dann schüttelte er blinzelnd den Kopf. Genug.
Die Soldaten würden jetzt ihre Quartiere bezogen haben, und einigen würde man den ersten Freigang seit Monaten gewährt haben. Er warf einen Blick auf den kleinen Stapel Papiere und Landkarten, die er Mr. Dawes vorhin entlockt hatte, doch sie konnten bis zum Morgen und auf besseres Licht warten. Besser, wenn er ordentlich schlief, dachte er.
Er lehnte sich in den Rahmen der offenen Tür, nachdem ihm ein rascher Blick über die Terrasse gezeigt hatte, dass die angrenzenden Zimmer nicht bewohnt zu sein schienen. Von der See begannen Wolken heranzutreiben, und ihm fiel wieder ein, was Rodrigo über den Regen in der Nacht gesagt hatte. Er meinte, einen Hauch von Kühle in der Luft zu spüren, vielleicht vom Regen, vielleicht durch die heraufziehende Nacht, und die Haare an seinem Körper kribbelten und richteten sich auf.
Von hier aus konnte er nichts sehen als das tiefe Grün eines in Dschungel gehüllten Hügels, der wie ein dunkler Smaragd im Zwielicht schimmerte. Von der anderen Seite des Hauses aus hatte er beim Verlassen des Speisezimmers das Gewirr der Straßen von Spanish Town unter sich gesehen, ein Labyrinth enger, von einer Vielzahl an Gerüchen erfüllter Straßen. Die Wirtshäuser und Bordelle würden heute Abend gut verdienen, ging ihm durch den Kopf.
Dieser Gedanke brachte ein seltenes Gefühl mit sich, das an Verbitterung grenzte. Jeder Soldat, den er mitgebracht hatte, vom unbedeutendsten Privatgefreiten bis hin zu Fettes, konnte in jedes beliebige Bordell von Spanish Town marschieren – und davon gab es nicht wenige, hatte Cherry ihm gesagt – und sich Erleichterung
Weitere Kostenlose Bücher