Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
ihrer unmittelbaren Reichweite zu entfernen, ohne seinen Stuhl allzu offensichtlich zu verrücken, was ihm seiner Meinung nach gut gelang. Sie betrachtete ihn zwar immer noch mit größter Aufmerksamkeit, doch die Art dieser Aufmerksamkeit hatte sich verändert. Die scharfen senkrechten Linien zwischen ihren Augenbrauen vertieften sich zu einer schroffen Elf.
»Wo habt Ihr denn diesen Ausdruck gehört, Oberst, wenn ich fragen darf?« Ihre Stimme klang völlig normal, ihr Tonfall unbeschwert – doch sie warf zugleich einen Blick in Richtung ihres Bruders, der ihnen den Rücken zugekehrt hatte. Und sie sprach sehr leise.
»Einer der Dienstboten des Gouverneurs hat davon gesprochen. Wie ich sehe, ist Euch der Ausdruck vertraut – gehe ich recht in der Annahme, dass er etwas mit Afrikanern zu tun hat?«
»Ja.« Jetzt bohrte sie die Zähne in ihre Oberlippe, ganz offensichtlich ohne sexuelle Hintergedanken. »Die Koromantynsklaven – wisst Ihr, was das ist?«
»Nein.«
»Neger von der Goldküste«, sagte sie. Sie legte ihm die Hand erneut auf den Ärmel, zog ihn hoch und nahm ihn mit ans andere Ende des Zimmers. »Die meisten Pflanzer wollen sie, weil sie groß und kräftig sind und meistens sehr gut gebaut.« War es – nein, beschloss er, es war keine Einbildung; ihre Zungenspitze war aus ihrem Mund gehuscht und hatte ihre Unterlippe berührt, kurz bevor sie »gut gebaut« sagte. Philip Twelvetrees sollte seiner Schwester lieber einen Ehemann suchen, dachte er, und zwar schnell.
»Habt Ihr hier Koromantynsklaven?«
»Ein paar. Koromantyn sind meistens unbeugsam. Sehr aggressiv und schwer zu bändigen.«
»Nicht sehr wünschenswert bei einem Sklaven, wie ich vermute«, sagte er und musste sich bemühen, es nicht gereizt klingen zu lassen.
»Unter Umständen schon«, sagte sie zu seiner Überraschung. »Wenn Sklaven loyal sind – und die unseren sind es, das schwöre ich –, dann hat man nichts dagegen, wenn sie sich ein bisschen blutrünstig zeigen … gegenüber jedem, der hier möglicherweise Unruhe stiften möchte.«
Er war so schockiert über ihre Ausdrucksweise, dass er einen Moment brauchte, um sie zu verstehen. Wieder huschte die Zungenspitze hervor, und wenn die junge Dame Grübchen gehabt hätte, hätte sie sie gewiss nun zu ihrem Vorteil eingesetzt.
»Ich verstehe«, sagte er vorsichtig. »Aber Ihr wolltet mir sagen, was ein Obeah-Mann ist. Dann ist er eine Autoritätsfigur bei den Koromantyn?«
Jede Koketterie verschwand abrupt, und sie runzelte erneut die Stirn.
»Ja. Obi ist der Name ihrer … Religion, so muss man es wohl nennen. Obwohl dem Wenigen nach, was ich darüber weiß, kein Priester diesen Namen dafür zulassen würde.«
Unten im Garten erscholl lautes Geschrei, und als er hinausblickte, sah er einen Schwarm kleiner bunter Papageien eifrig über das verzweigte Geäst eines großen Baumes mit rötlichen Früchten flattern. Als hätte jemand einen Startschuss gegeben, kamen zwei splitternackte schwarze Kinder aus dem Gebüsch hervor und zielten mit Steinschleudern auf die Vögel. Die Steine fielen zwar harmlos durch das Geäst, doch die Vögel stoben wie eine aufgeregte gefiederte Windhose auf und flogen unter entrüstetem Kreischen davon.
Miss Twelvetrees ignorierte diese Unterbrechung und fuhr mit ihrer Erklärung fort, sobald der Lärm verstummte.
»Ein Obeah-Mann spricht mit den Geistern. Er – oder sie, es gibt auch Obeah-Frauen – ist die Person, zu der man geht, um … Dinge zu arrangieren.«
»Was denn für Dinge?«
Ein Hauch ihrer Koketterie tauchte wieder auf.
»Oh … dass sich jemand in einen verliebt. Dass man schwanger wird. Dass man nicht mehr schwanger ist …« Sie sah ihn an, um zu prüfen, ob sie ihn erneut schockiert hatte, doch er nickte nur. »… oder um jemanden mit einem Fluch zu belegen. Mit Unglück oder Krankheit. Oder dem Tod.«
Das klang ja vielversprechend.
»Und wie geschieht das, wenn ich fragen darf? Unglück oder den Tod hervorzurufen?«
Doch hier schüttelte sie den Kopf.
»Ich weiß es nicht. Es ist gefährlich, danach zu fragen«, fügte sie hinzu, senkte die Stimme noch weiter, und ihr Blick war jetzt ernst. »Sagt mir – der Bedienstete, der mit Euch gesprochen hat; was hat er gesagt?«
Grey, dem bewusst war, wie schnell sich Gerüchte auf dem Land herumsprachen, hatte nicht vor, jemandem von den Drohungen gegen Gouverneur Warren zu erzählen. Stattdessen fragte er: »Habt Ihr schon einmal von Zombies gehört?«
Sie wurde
Weitere Kostenlose Bücher