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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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beobachtete sie scharf. Sie konnte die Wahrheit nicht wissen, sondern hatte irgendein Gerücht gehört. Ihre Fragen waren also ein Versuch – und zwar ein ungeschickter –, ihn aus der Reserve zu locken.
    »Ich bin flüchtig mit mehreren Twelvetrees’ bekannt«, sagte er äußerst liebenswürdig. »Aber falls ich Eurem Vetter begegnet bin, so hatte ich, glaube ich, nicht das Vergnügen, mich ausführlich mit ihm zu unterhalten.« »Verfluchter Mörder! « und » Widerlicher Sodomit!« zählten ja nicht unbedingt als Konversation, wenn man Grey fragte.
    Miss Twelvetrees blinzelte ihn überrascht an, und er begriff, was ihm schon viel eher hätte auffallen sollen. Sie war betrunken. Er selbst hatte die Sangria leicht und erfrischend gefunden – doch er hatte lediglich ein Glas getrunken. Er hatte zwar nicht bemerkt, wie sie das ihre nachfüllte, doch der Krug war so gut wie leer.
    »Meine Liebe«, sagte Philip fürsorglich. »Es ist warm, nicht wahr? Du siehst ein wenig blass und unpässlich aus.« Eigentlich war sie rot, und ihre Frisur begann, sich hinter ihren großen Ohren aufzulösen – doch sie sah tatsächlich so aus, als fühle sie sich unpässlich. Philip läutete, erhob sich und nickte dem schwarzen Dienstmädchen zu, das daraufhin eintrat.
    »Ich fühle mich nicht unpässlich«, behauptete Nancy Twelvetrees, um Würde bemüht. »Ich – ich bin einfach – also …« Doch das Dienstmädchen, das dieses Amt offensichtlich öfter versah, zog Miss Twelvetrees bereits zur Tür, wenn sie es auch geschickt so aussehen ließ, als unterstütze sie ihre Herrin nur.
    Grey erhob sich gezwungenermaßen ebenfalls, ergriff rasch Miss Nancys Hand und beugte sich darüber.
    »Euer Diener, Miss Twelvetrees«, sagte er. »Ich hoffe …«
    »Wir wissen es«, sagte sie und starrte ihn mit großen, plötzlich tränennassen Augen an. »Hört Ihr? Wir wissen es.« Dann war sie fort, und ihre holperigen Schritte verhallten als holperiger Trommelschlag auf dem Parkett.
    Beide Männer schwiegen einen Moment beklommen. Grey räusperte sich, just als Philip Twelvetrees hustete.
    »Ich mochte Edward nicht besonders«, sagte er.
    »Oh«, sagte Grey.
    Sie gingen gemeinsam auf den Hof, wo Greys Pferd unter einem Baum graste. Seine Flanken waren mit Papageienkot streifig bedeckt.
    »Stört Euch nicht an Nancy, ja?«, sagte Twelvetrees leise, ohne ihn anzusehen. »Sie hat … eine schwere Enttäuschung erlebt, in London. Ich dachte, sie würde hier leichter darüber hinwegkommen, aber – nun, ich habe einen Fehler gemacht, und er ist nicht so einfach rückgängig zu machen.«
    Er seufzte, und plötzlich hätte ihm Grey am liebsten mitfühlend auf den Rücken geklopft.
    Stattdessen räusperte er sich vage, nickte und stieg auf.
    »Die Truppen werden übermorgen hier sein«, sagte er. »Ich gebe Euch mein Wort darauf.«
    EIGENTLICH HATTE GREY VORGEHABT, nach Spanish Town zurückzukehren, doch stattdessen machte er unterwegs Halt, zog die Karte hervor, die ihm Dawes mitgegeben hatte, und berechnete die Entfernung bis nach Rose Hall. Sie würden auf dem Berg im Freien übernachten müssen, doch darauf waren sie ja vorbereitet – und ganz abgesehen davon, dass es wünschenswert war, die Einzelheiten eines Überfalls der Aufständischen einmal aus erster Hand zu hören, war er jetzt mehr als neugierig darauf, sich mit Mrs. Abernathy über Zombies zu unterhalten.
    Er rief seinen Adjutanten herbei, schrieb eine Dienstanweisung für die Entsendung der Truppen zu Twelvetrees, dann schickte er zwei Männer damit nach Spanish Town zurück und ließ zwei weitere vorausreiten, um sich nach einem guten Lagerplatz umzusehen. Diesen erreichten sie, als die Sonne unterzugehen begann, eine flammende Perle an einem zartrosa Himmel.
    »Was ist das?«, fragte er und blickte abrupt von seinem Gunpowder-Tee auf, den ihm Korporal Sansom gereicht hatte. Auch Sansoms Miene war erschrocken, und er blickte den Hang hinauf, dorthin, woher das Geräusch gekommen war.
    »Weiß nicht, Sir«, sagte er. »Klingt wie eine Art Horn.«
    So war es. Keine Trompete oder ein anderer üblicher militärischer Klang. Jedoch definitiv ein Klang menschlichen Ursprungs. Die Männer verharrten lautlos und warteten. Ein Moment oder zwei, und das Geräusch ertönte erneut.
    »Das ist ein anderes«, sagte Sansom mit alarmierter Stimme. »Es kam von dort drüben.« Er wies auf den Hang. »Nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Grey geistesabwesend. »Still.«
    Das erste Horn erklang erneut, ein

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