Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
Hauptmänner zu sich und ließ ihn eine Eskorte zusammenstellen. Zwölf Mann würden zu Demonstrationszwecken ausreichen, beschloss er.
»Und wohin reitet Ihr, Sir?«, fragte Hauptmann Lossey und verzog das Gesicht, während er sich bereits im Kopf zusammenrechnete, wie viele Pferde, Maultiere und Vorräte vonnöten sein würden.
Grey holte tief Luft und ergab sich in sein Schicksal.
»Zu einer Plantage namens Twelvetrees«, sagte er. »Im Hochland, etwa zwanzig Meilen von King’s Town entfernt.«
PHILIP TWELVETREES WAR NOCH JUNG, ETWA MITTE ZWANZIG, kräftig und gut aussehend. Grey fühlte sich zwar nicht zu ihm hingezogen, doch sein ganzer Körper spannte sich an, als er dem Mann die Hand schüttelte und dabei sein Gesicht nach einem Anzeichen durchforschte, ob ihn Twelvetrees erkannte oder seine Gegenwart mit irgendetwas anderem verband als mit der politischen Lage.
In Twelvetrees’ Gesicht zeigte sich jedoch keine Spur von Beklommenheit oder Argwohn, und Grey entspannte sich ein wenig und nahm das Angebot an, etwas Kaltes zu trinken. Dies entpuppte sich als Mischung aus Fruchtsäften und Wein, herb, aber erfrischend.
»Es wird Sangria genannt«, merkte Twelvetrees an und hielt sein Glas so, dass es im sanften Licht erglühte. »Das heißt Blut. Auf Spanisch.«
Grey sprach zwar nicht viel Spanisch, doch das wusste er. Doch Blut schien ihm nicht der schlechteste Ausgangspunkt für sein Anliegen zu sein.
»Dann glaubt Ihr also, wir könnten die Nächsten sein?« Twelvetrees erbleichte. Er trank noch einen Schluck Sangria und richtete sich auf. »Nein, nein, uns kann nichts passieren. Unsere Sklaven sind loyal, darauf würde ich schwören.«
»Wie viele habt Ihr denn? Und würdet Ihr ihnen Waffen anvertrauen?«
»Hundertsechzehn«, erwiderte Twelvetrees mechanisch. Offenbar befasste er sich gerade mit der Frage, wie teuer und wie gefährlich es sein würde, etwa fünfzig Mann zu bewaffnen – denn seine Sklaven mussten ja mindestens zur Hälfte Frauen und Kinder sein – und sie mehr oder minder frei auf seinem Besitz agieren zu lassen. Und gleichzeitig mit der Vorstellung, wie eine unbekannte Anzahl ebenfalls bewaffneter Bergbewohner plötzlich mit Fackeln aus dem Dunkel der Nacht kam. Er trank noch ein wenig Sangria.
»Vielleicht … woran hattet Ihr denn gedacht?«, fragte er abrupt und stellte sein Glas hin.
Grey hatte ihm gerade seine Pläne dargelegt, zwei Infanteriekompanien auf der Plantage zu postieren, als ihn eine Bewegung des Musselins an der Tür aufblicken ließ.
»Oh Nan!« Philip legte die Hand über die Papiere, die Grey auf dem Tisch ausgebreitet hatte, und warf Grey hastig einen warnenden Blick zu. »Das hier ist Oberst Grey, der sich uns vorstellen wollte. Oberst, meine Schwester Nancy.«
»Miss Twelvetrees.« Grey hatte sich sofort erhoben und schritt jetzt auf sie zu, um sich über ihre Hand zu beugen. Hinter sich hörte er es rascheln, denn Twelvetrees schob hastig die Landkarten und Diagramme zusammen.
Nancy Twelvetrees besaß dieselbe kräftige Statur wie ihr Bruder. Sie war zwar alles andere als hübsch, doch sie hatte intelligente dunkle Augen – deren Blick sich sichtlich schärfte, als ihr Bruder Grey mit Namen vorstellte.
»Oberst Grey«, sagte sie und wies ihn mit einer anmutigen Geste an, sich wieder zu setzen, während auch sie sich niederließ. »Seid Ihr vielleicht mit den Greys aus Ilford in Sussex verwandt? Oder vielleicht entstammt Eure Familie ja dem Londoner Zweig …?«
»Mein Bruder hat ein Anwesen in Sussex, ja«, sagte er schnell. Und unterließ es hinzuzufügen, dass es sich um seinen Halbbruder Paul handelte, der gar kein Grey war, da er aus der ersten Ehe seiner Mutter stammte. Unterließ es außerdem hinzuzufügen, dass sein älterer Bruder der Herzog von Pardloe war, der Mann, der vor zwanzig Jahren einen gewissen Nathaniel Twelvetrees erschossen hatte. Was logischerweise auch an den Tag gebracht hätte, dass Grey selbst …
Philip Twelvetrees wollte ganz offensichtlich vermeiden, dass seine Schwester durch die Erwähnung der gegenwärtigen Situation alarmiert wurde. Grey deutete ihm mit einem kaum merklichen Kopfnicken an, dass er verstand, und Twelvetrees entspannte sich sichtlich und setzte sich zum höflichen Geplauder nieder.
»Und was ist es, das Euch nach Jamaica führt, Oberst Grey?«, fragte Miss Twelvetrees schließlich. Weil Grey diese Frage kommen sah, hatte er sich eine sorgsam vage Antwort zurechtgelegt, die etwas mit der Sorge der
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