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Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane

Titel: Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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das Leinenzelt, das Grey mitgenommen hatte. Die jungen Männer schliefen im Prasseln des Regens augenblicklich ein.
    Grey lag noch eine Weile wach und kämpfte gegen die Müdigkeit an, während ihm seine Gedanken auf den Berg vorauseilten. Er trug seine Uniform, wenn auch nicht die volle Paradeuniform, nur so, dass ihm seine Identität anzusehen war. Und bis jetzt war sein Schachzug angenommen worden; man hatte sie weder nach ihrem Begehren gefragt noch angegriffen. Anscheinend würde ihn Hauptmann Accompong empfangen.
    Und was dann? Er war sich nicht sicher. Er hoffte, dass er seine beiden Männer zurückbekommen würde – die beiden Wachtposten, die in der Nacht des Mordes an Warren verschwunden waren. Man hatte weder ihre Leichen gefunden, noch waren Teile ihrer Uniformen oder ihrer Ausrüstung aufgetaucht. Hauptmann Cherry hatte ganz Spanish Town und King’s Town auf den Kopf stellen lassen, um sie zu finden. Wenn sie jedoch lebendig verschleppt worden waren, unterstrich das seinen Eindruck von Accompong – und es machte ihm Hoffnung, dass sich diese Rebellion beenden ließ, ohne dass ein ausgedehnter Feldzug durch Dschungelwälder und Felsen nötig wurde, der mit Eisenfesseln und Hinrichtungen endete. Aber wenn … der Schlaf überwältigte ihn, und er sank in wirre Träume von bunten Vögeln, deren Federn ihm über die Wangen strichen, während sie lautlos vorüberflogen.
    Als Grey am Morgen erwachte, spürte er die Sonne in seinem Gesicht. Im ersten Moment blinzelte er verwirrt, dann setzte er sich hin. Er war allein. Wirklich allein.
    Mit wild hämmerndem Herzen rappelte er sich auf und griff nach seinem Dolch. Die Waffe steckte in seinem Gürtel, doch das war das Einzige, was noch war, wo es sein sollte. Seine Pferde – alle Pferde – waren fort. Genau wie Tom und Rodrigo.
    Das sah er zwar sofort – die Decken, in denen sie am Abend zuvor gelegen hatten, lagen unordentlich im Gebüsch –, doch er rief dennoch nach ihnen, wieder und wieder, bis seine Kehle davon heiser wurde.
    Irgendwo über sich hörte er eins der Hörner, ein langgezogenes Tuten, das in seinen Ohren spöttisch klang.
    Diesmal verstand er die Nachricht sofort. Ihr habt zwei von uns genommen; jetzt haben wir zwei von Euch.
    »Und ihr glaubt nicht, dass ich sie holen komme?«, rief er in das schwindelerregende Meer aus schwankendem Grün hinauf. »Sagt Hauptmann Accompong, ich komme! Ich will meine Männer zurück, und zwar heil – sonst hole ich mir seinen Kopf!«
    Das Blut stieg ihm ins Gesicht, und er hatte das Gefühl, er würde platzen, war aber nicht so dumm, auf irgendetwas einzuschlagen. Er war schließlich allein; er konnte es sich nicht leisten, sich zu verletzen. Er musste im Vollbesitz dessen, was ihm noch blieb, bei den Schwarzen ankommen, wenn er Tom retten und die Rebellion beenden wollte – und er hatte vor, Tom zu retten, koste es, was es wolle. Ganz gleich, ob man ihn vielleicht in eine Falle lockte; er würde gehen.
    Er beruhigte sich mit großer Willensanstrengung und stampfte auf Strümpfen im Kreis herum, bis seine Wut zum Großteil verflogen war. In diesem Moment sah er sie ordentlich nebeneinander unter einem Dornbusch stehen.
    Sie hatten ihm seine Stiefel dagelassen. Sie erwarteten, dass er kam.
    ER GING DREI TAGE DURCH DEN DSCHUNGEL. Er versuchte erst gar nicht, einem Pfad zu folgen; er war kein besonders guter Spurenleser, und es war ohnehin vergebens, zwischen den Felsen und dem dichten Unterholz eine Spur ausfindig machen zu wollen. Er kletterte einfach nur, suchte sich seinen Weg, wo Platz war, und lauschte den Hörnern.
    Die Aufständischen hatten ihm keine Vorräte dagelassen, doch das spielte keine Rolle. Überall waren kleine Bäche und Teiche, und er hatte zwar Hunger, litt aber nicht. Hin und wieder fand er Bäume von der Sorte, die er bei Twelvetrees gesehen hatte und die kleine rötliche Früchte trugen. Wenn die Papageien sie fraßen, so dachte er, mussten die Früchte zumindest einigermaßen genießbar sein. Sie waren zwar unfassbar sauer, doch sie vergifteten ihn nicht.
    Die Hornsignale waren seit dem Morgengrauen immer häufiger geworden. Es waren jetzt drei oder vier Hörner, die miteinander kommunizierten. Offensichtlich war es nicht mehr weit. Wohin, das wusste er zwar nicht, doch er war jetzt fast da.
    Er blieb stehen und hob den Blick. Der Boden wurde hier ebener; es waren freie Stellen im Dschungel, und auf einer dieser Lichtungen sah er eindeutig von Menschenhand angebaute Pflanzen:

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