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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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handelte sich um nicht mehr und nicht weniger als Theater. Ein Bühnenapparat, der aufgestellt wurde, sobald man irgendwo die wahren Motive einer Operation verschleiern oder sie zu einem anderen Zweck ausnutzen wollte. JFK musste bestraft werden, weil er die Kubaner und die Mafia verraten hatte, die entscheidend zu seiner Wahl beigetragen hatte. Diese Hintergründe mussten verschleiert werden. Ein einsamer heimatloser Mörder garantierte hervorragende Resultate: Er sorgte für eine rasche Lösung des Falls; schickte allen jenen, die Ohren hatten zu hören, ein deutliches Signal, ersparte einem Haufen braver Jungs eine Menge Probleme. All das war nichts anderes als Illusion.
    Aber worin sonst bestand der Sinn des Theaters, wenn nicht in der Illusion? Vor Kurzem – Lupo hatte bei einem Kriminologie-Seminar darüber referiert – hatte ein ehrgeiziger Boss der heimischen Mafia auf die Triangulierung zurückgegriffen, um sich eines rivalisierenden Bosses zu entledigen. Er hatte sich mit ihm in einem Restaurant verabredet und so getan, als würde er mit ihm eine Abmachung treffen. Beim Ausgang war ein Killer auf sie zugerannt und hatte wie wild geschossen. Die beiden Bosse hatten versucht, hinter einem geparkten Auto Deckung zu finden. Während der inszenierten Flucht hatte der eine Boss den anderen mit einem Schuss aus nächster Nähe kaltgemacht. Der Killer hatte sich ungehindert davongemacht. Dank des Gerichtsmediziners, der die Inszenierung aufgedeckt hatte, war dieser Fall brillant gelöst worden. Im Fall von Dantinis Tod hatten Mastino und die Seinen die Dinge gründlicher erledigt. Das gerichtsmedizinische Gutachten besagte, dass der tödliche Schuss Dantini in der Herzgegend getroffen hatte, das Projektil war von unten in den Körper eingedrungen und hatte sich mit einer Neigung von ungefähr fünfundzwanzig Grad fortbewegt. Aufgrund der Zeugenaussagen und der vermuteten Position von Schütze und Opfer war man zu dem Schluss gekommen, dass letzterer sich im Augenblick des Aufpralls nach vorne gebeugt hatte. Das Video, das der Junge gedreht hatte – das von Lupos Technikern gereinigt und bearbeitet worden war –, hatte die offizielle Version widerlegt. Die Bilder offenbarten, dass der Anarchist nicht einmal die Waffe auf sein Opfer gerichtet hatte. Und Dantini hatte sich in dem Augenblick, in dem er getroffen wurde, nicht vornüber gebeugt, sondern stand ganz aufrecht. Auf dem Video war sein plötzlich besorgter Gesichtsausdruck zu sehen. Er schaute auf etwas, das hinter dem Anarchisten sein musste. Auf den Punkt, wo sich, wie Lupo und Daria schlussfolgerten, sein wahrer Mörder befand. Eine Person, die kleiner war als Dantini, die die Bernardelli mit beiden Händen hielt und in aller Seelenruhe zielte. Es handelte sich um ein Mädchen. Sie tauchte auf mindestens vier weiteren Standbildern auf. Mit einer Waffe, die sie wie gesagt mit zwei Händen hielt, angespannt, in Schießposition, während sie direkt in die Kamera zu schauen schien. Bei der Übergabe der Waffe an jemanden, der nicht leicht zu identifizieren war (man erkannte nur undeutlich einen männlichen Arm). Und schließlich während sie floh und sich unter die aufgeregte und erschrockene Menschenmenge mischte, die den Vorfall beobachtet hatte.
    – Rigosi Flavio, der Freund des Jungen … es gibt ein Verhörprotokoll, in dem er von einem blonden Mädchen spricht, erinnerte sich Daria.
    Lupo hatte noch einmal die Akte konsultiert. Rigosi, der zur Zeit wegen des Besitzes von einer bescheidenen Menge Haschisch in Regina Coeli inhaftiert war, hatte tatsächlich ein Mädchen erwähnt. Daria hatte den Vorschlag gemacht, ihm das bearbeitete Foto des Videos zu zeigen. Lupo war dagegen gewesen.
    – Und was sagen wir ihm? Dass sein Freund gar nicht gestorben ist, wir das jedoch vor der ganzen Welt geheim halten?
    – Wir müssen ihm nicht alles sagen.
    – Was auch immer wir ihm sagen, wird eine halbe Stunde später im Anarchisten-Blog stehen. Die x-te Lüge des Staates und so weiter …
    – Und ist das vielleicht nicht die Wahrheit?
    – Die Wahrheit ist umso wahrer, wenn sie im richtigen Augenblick enthüllt wird.
    Damit war die Sache erledigt. Eigentlich hätten sie das Video der Staatsanwaltschaft übergeben und die Wiederaufnahme des Falls beantragen müssen. Aber das wäre ein sinnloser und gefährlicher Schritt gewesen. Sinnlos, weil sie zweifellos nicht offenbaren konnten, dass sie den vermeintlichen Schuldigen für tot erklärt hatten. Jetzt noch

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