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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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aber nicht auf der Forbes-Rang-Liste auftaucht. Er war schon dreimal verheiratet, hat eben zum vierten Mal geheiratet. Ich habe ihn zum ersten Mal in Brüssel getroffen, in einem sehr exklusiven Bordell.
    – Und was haben Sie dort gemacht?
    – Als Hure gearbeitet natürlich.
    Sie ging unter einem Vorwand weg und ließ ihn mit dem Echo ihres warmen, kehligen Lachens zurück, allein und völlig verwirrt. Sie hatte ihn provoziert, dann war sie wieder auf Distanz gegangen. Eine Hure! Die Frau des Kommandanten! Sie machte sich über ihn lustig, klar. Sie betrachtete ihn wohl als eine Art wildes Tier, das bei einem Maskenball zum Vergnügen der Gäste freigelassen worden war. Die WUT grummelte. Wenn du eine Beute suchst, meine Liebe, hast du den richtigen Bissen gefunden.
    – Etwas ungeschliffen. Loyal. Von der Umgebung etwas eingeschüchtert.
    Alissa erstattete dem Kommandanten Bericht, der lächelnd zuhörte und sich gleichgültig umblickte.
    – Typisch, meine Liebe. Schau ihn an. Das edle Tuch, das er in einem der Läden gekauft hat, die unser Mastino regelmäßig abgrast, wird wohl gleich explodieren … wahrscheinlich fragt er sich gerade: Aber wo ist die schöne Welt, die man mir versprochen hat? Die schöne Welt ist etwas für TV-Sternchen und Fußballspieler, Filmstars, Feste im Billionaire … die schöne Welt sieht man im Fernsehen oder man liest in der Zeitung über sie. Solche Gesichter habe ich noch nie gesehen … aber wo bin ich gelandet, in einer Art
Second Life
für Beamte? Auf jeden Fall sollte man ihn noch ein wenig beobachten …
    Marco hatte gesehen, wie sie sich unterhielten und dann lachten. Alissa und der Kommandant. Sie sprachen über ihn. Sie lachten über ihn. War das der Preis dafür, dass er in ihre Welt aufgenommen wurde? Zwei Minister der Republik traten ein, von Bodyguards umringt. Der Kommandant ging ihnen entgegen, mit Alissa an seiner Seite. Sie drückten sich die Hand, schlugen einander auf die Schulter. Marco konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Minister die Kardinäle seien und der Kommandant der Papst … Es wirkte wie ein Spiel. Aber es war kein Spiel. Es war etwas viel Komplizierteres. Das konnte Marco in diesem Augenblick aber nicht wissen.

Fünfter Teil
Guido

1.
    Am letzten Sonntag im August, um elf Uhr dreiundvierzig, wachte Guido auf. Daria hätte ihn am liebsten gleich verhört. Doktor Fera riet ihr jedoch zur Geduld.
    – Die ersten Untersuchungen waren sehr vielversprechend, aber wie ich Ihnen bereits einmal sagte, ist das menschliche Gehirn noch immer ein Rätsel … wir müssen sehr vorsichtig vorgehen. Fürs Erste müssen wir ihn einmal auf die Beine kriegen. Dann werden wir herausfinden, ob er Schäden davongetragen hat, und wenn ja, inwiefern sie reversibel sind. Wichtige Nervenzentren könnten dauerhaft geschädigt sein, und in diesem Fall …
    – Würde er sich an nichts erinnern, hatte Lupo schlussgefolgert.
    Aber Guido erinnerte sich an alles. Sogar an die winzigsten Details. Der freundliche Arzt hatte ihm gesagt, dass er sich einen Monat und siebenundzwanzig Tage im Tiefschlaf befunden hatte. Dass das Projektil keine lebensnotwendigen Organe verletzt hatte. Dass er speziell überwacht wurde und den Besuch von Personen erwartete, deren Identität er nicht preisgeben durfte. Wer seid ihr? Wo bin ich? Was ist passiert, nachdem ich … nachdem sie auf mich geschossen haben? Wo ist Rossana?
    Aber seine Stimme gehorchte ihm nicht. Die Muskeln waren aufgrund der langen Untätigkeit träge geworden. Einen Schluck Wasser zu trinken, hatte ihn enorme Anstrengung gekostet. Die Situation hatte sich in den Tagen darauf gebessert, mithilfe einer intensiven Serie von physiotherapeutischen Sitzungen hatte man ihn instand gesetzt und er konnte einfachste Bewegungen ausführen. Jeden Abend wurde er erschöpft in sein Zimmer zurückgebracht, das ausgestattet war wie ein Krankenhauszimmer. Und dann kam die Logopädin.
    – Der Patient beteiligt sich nicht, Herr Doktor. Meiner Meinung nach würde er es schaffen, wenn er nur wollte. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er mauert.
    – Natürlich. Er hat Angst, sagte Lupo abschließend, nachdem ihm Fera die Nachricht überbracht hatte. Ich gebe Ihnen noch eine Woche, dann versuche ich es selbst.
    In Wirklichkeit hatte Guido sogar die Sprache wiedererlangt. Vielleicht hatte er noch Probleme mit gewissen Lauten, aber mit etwas gutem Willen hätte er ein vernünftiges Gespräch führen können. Das Problem

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