Zeit der Wut
gegenüber. Hier war früher die Küche gewesen, aber Guido versuchte umsonst, den zarten Knoblauchgeruch wahrzunehmen, den Didier so sehr gemocht hatte. Rossana ist nicht da. Rossana ist weggegangen, dachte Guido, und der Refrain eines dummen Schlagers fiel ihm ein. Aber das Mädchen im Schlager hieß nicht Rossana. Und er konnte sich nicht an den Namen erinnern. Er musste wieder ganz von vorne anfangen. Er hatte bloß Zeit verloren. Ein paar Minuten lang unterhielten sie sich über alles Mögliche, dann stand Guido auf, reichte ihm die Hand, sagte, er würde darüber nachdenken und ihm seine Entscheidung mitteilen.
– Ich habe verstanden, sagte der Mann. Auch Sie werden diese verdammte Wohnung nicht kaufen! Ich weiß wirklich nicht, was mit dieser Wohnung los ist. Glauben Sie mir, seit drei Jahren … seit genau drei Jahren, seitdem ich das Büro eröffnet habe, versuche ich sie zu verkaufen, und immer …
Panik schlug über Guido zusammen.
3.
Das Lager war ein riesiger Kellerraum in einem Wohnblock an der Via Ardeatina.
– Ein sicherer Ort, ein sicheres Haus, sichere Leute. Die eine Hälfte steht auf unserer Gehaltsliste, und die andere macht sich in die Hose vor Angst, also …
Perro sagte ihm, er solle die Pakete mit dem Stoff in einen Safe legen, und gab ihm den Code. Dieser Vertrauensbeweis tröstete Marco. Er war wirklich einer von ihnen geworden. Er gehörte jetzt zur Mannschaft.
– Hier bewahren wir Dokumente auf, Pässe, Chipkarten, solche Sachen eben, erklärte ihm Corvo, und hier die Blankodokumente, die falschen Kennzeichen, mit einem Wort das Werkzeug …
– Eigentlich befindet sich in dem anderen Safe auch Werkzeug, sagte Sottile ironisch. Bomben, Bazookas, ein paar Maschinengewehre … gibt es übrigens noch den Raketenwerfer, den wir den Libanesen abgenommen haben?
– Nein, den haben wir den Kurden gegeben.
– Ah …
Im Safe gab es noch mehrere Drogenpakete und Geldbündel. Viel Geld.
– Pass auf, das ist das Sparschwein des Kommandanten. Greif ja nichts an, ich bitte dich. Nur auf ausdrücklichen Befehl des Kommandanten … pass auf, dass du nicht in Versuchung kommst.
Sie taten, als ob alles ganz normal, ganz selbstverständlich wäre. Entweder warst du dabei oder du warst draußen. Und er war mittlerweile dabei. Mit beiden Beinen stand er drinnen. Und er war damit zufrieden. Sie waren seine neuen Zenturios. Seine Verteidiger. Die Wächter der Ordnung. Und es war egal, dass ihre Methoden wenig orthodox waren, Krieg ist nun mal nicht demokratisch. Und sie befanden sich im Krieg, wie Mastino unablässig wiederholte.
– Ach, jetzt würde ich gern ’ne Runde schieben.
Alle lachten bei Rainers Ausruf. Der typische Ausdruck aus den Abruzzen erinnerte Marco einen Augenblick lang an Dantini. Eine ferne, leise gewordene Musik. Inzwischen war er ein anderer Mensch. Und er war froh, so geworden zu sein.
– Tja, du kannst es ja immer noch bei der Frau des Senators probieren.
– Nein, ich glaube, die hat ’n Faible für den Jungen.
Lautes Lachen. Schulterklopfen. Die Frauen: Jagd und Eroberung. Huren und Unberührbare. Alles so normal, alles so natürlich. Corvo erzählte, dass er einmal mit einer Zirkusakrobatin zusammen gewesen war. Die kleine Hure war nur eins fünfzig groß gewesen und hatte sich so zusammenkrümmen können, dass sie in einen Koffer passte.
– Wie in einem Film, Jungs!
Perro erzählte von einer türkischen Prinzessin. Rainer ging zum Safe und holte ein Säckchen Koks heraus.
– Was meint ihr? Ziehn wir ’ne Straße?
Sie stimmten begeistert zu. Marco hütete sich davor zuzugeben, dass er sich immer vor dem Zeug in Acht genommen hatte, und als er an der Reihe war, hielt er sich den Hundert-EuroSchein, den Corvo zusammengerollt hatte, an die Nase und tat es den anderen nach, die in hierarchischer Reihenfolge gesnifft hatten. Die Zeit schien sich auszudehnen, dann zusammenzuziehen, dann sich wieder auszudehnen, dann schließlich zu explodieren. Als sie das Lager verließen, zog die Abenddämmerung herauf. Sie waren müde, aber aufgeregt, leer, aber noch immer voller Tatendrang. Sie zögerten sich zu trennen. Es gab noch etwas zu tun, gemeinsam zu tun, eine Geste, um die Übereinstimmung zu bekräftigen. Ja, es gab noch etwas zu tun, aber sie wussten nicht was. Dann hatte Perro die richtige Idee.
– Hört zu, Jungs, in San Giovanni haben die Schwulen ’ne ganze Straße besetzt.
– Ich hab davon gehört, antworte Corvo, sie nennen es
Gay Street
…
–
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