Zeit der Wut
das Mädchen hätte kontaktieren können. Dieses Geld hätte ihm die Zeit gegeben, seinen Plan zu verwirklichen. Jetzt hatte er weder Zeit noch einen Plan. Die Impulsivität wird ihn leiten. Und ihn zu ihr führen.
Ein paar Stunden lang passierte gar nichts. Daria rief in regelmäßigen Abständen den Polizisten Corradi an. Er gab immer dieselbe Antwort: Der Junge läuft durch die Stadt, hin und wieder macht er halt in einer Bar, offenbar weiß er nicht, was er tun soll.
– Das gefällt mir nicht, Lupo.
– Kommt Zeit, kommt Rat, meine Liebe.
Siebter Teil
Alle auf die Bühne!
1.
Salah – Friede seiner Seele! – nannte sie Refat Eins und Refat Zwei. Die radikalen Brüder wollten in einem Kellerlokal an der Via Casilina eine neue Moschee errichten, und ihre Lage, zwischen einer aufgelassenen Schule, einem leeren Keller und den Überresten einer Wiese, die Pier Paolo Pasolini in
Petrolio
verewigt hatte, gehörte zu den vielen interessanten Dingen, die Salah der Affe berichtet hatte, um die Belohnung zu kassieren. Hier, zwischen abbröckelndem Verputz und alten, muffig riechenden Obstkisten, wollten die schiitischen Brüder das neue Heer des Einzigen und Wahren Gottes ausbilden. Hier hatten sie die Mission ausgeklügelt, die dem Kommandanten so sehr am Herzen lag. Mastinos Jungs machten zwischen drei und vier Uhr morgens eine Razzia, in der Stunde des Wolfs, wenn die Abwehr herabgesetzt und die Reaktion verlangsamt ist. Lärm, dichter Rauch von Rauchpatronen, schwarze Schatten, die sich bewegten und Kriegsschreie ausstießen: Mehr konnte Refat Eins oder vielleicht auch Refat Zwei, nicht erkennen, bevor er von einer Salve aus dem Maschinengewehr des Polizisten Sottile niedergestreckt wurde. Noch bevor Refat Zwei – oder war es Refat Eins? – kapierte, dass die Seele seines Bruders ins Jenseits geflogen war, lag er flach auf dem Boden, mit dem Lauf von Perros Pistole im Nacken.
– Bete, du Arschloch.
Der Araber versuchte aufzustehen, in einem letzten Aufwallen von Würde. Er wollte wenigstens seinem Feind ins Gesicht sehen, bevor ihn das Schicksal ereilte. Oder vielleicht mit einer letzten verzweifelten Anstrengung versuchen, ihm weh zu tun. Perro schlug ihn einmal, zweimal ans untere Ende des Nackens. Der überlebende Refat stöhnte. Marco spürte, wie Hass in der Luft vibrierte. Ein ansteckender, unwiderstehlicher Hass.
– Ja, bete, du Arschloch. Ich will deine Scheißlitanei hören!
Perro blickte ihn verwundert an. Teufel, der Kleine holte die Eier raus! Er hielt ihn noch immer für einen von Dantinis bleichen Jungs. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er ihn bei der ersten Gelegenheit umgelegt. Dazu war er ja da … aber vielleicht hatte Mastino recht. Vielleicht würde er tatsächlich eines Tages einer von ihnen werden.
– Los, komm.
Perro und Marco schlugen und beschimpften den Araber, bis Mastino beschloss, dass es an der Zeit war einzugreifen. Einen von den beiden brauche ich lebend, hatte der Kommandant gesagt. Sie hatten ja schon ihren Spaß gehabt.
– Es reicht!
Sie ließen gleichzeitig die Waffen sinken. Mastino zog fünf oder sechs Kokainpakete aus der Jackentasche, riss ein paar davon auf und verstreute den Inhalt über die Leiche des Arabers. Den Rest des Stoffes steckte er ihm in die Taschen. Als er Marcos Blick auffing, sah er in seinen Augen die Euphorie des Augenblicks und lächelte ihm zufrieden zu.
– Alles klar, oder nicht?
– Natürlich. Eine Abrechnung.
– Bravo, Junge. Mach weiter so. Du bist auf dem richtigen Weg.
Corvo und Rainer kamen mit einem Haufen Papiere in der Hand. Mastino betrachtete sie mit augenscheinlichem Wohlgefallen. Marco erkannte einen Plan, ein paar Polaroidfotos, die Skizze einer einfachen Zündung.
– Ok, schauen wir zu, dass wir sie loswerden, befahl Mastino und gab Rainer die Papiere. Darum kümmert sich der Kommandant.
Sottile hatte plötzlich einen Benzinkanister in der Hand. Auf einen Wink Mastinos hin rollte der Polizist zwei Gebetsteppiche auf, legte sie auf die Leiche und tränkte sie mit Benzin. Corvo und Rainer griffen dem anderen Refat, der noch ohnmächtig war, unter die Achseln und zogen ihn hoch. Sottile vergoss Benzin, bis der Kanister völlig leer war.
– Alle raus.
Auf Mastinos Befehl verließen sie das Kellerlokal, den Gefangenen im Schlepptau. Mastino blieb einen Augenblick an der Schwelle stehen, zündete drei oder vier Streichhölzer an und warf sie hinein. Als sie in den Ford mit dem zivilen Kennzeichen stiegen, den
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