Zeit des Aufbruchs
endlosen Sorgen, die eine Herrschaft mit sich brachte. Nur dieses eine, das wollte sie für sich selbst.
»Ich liebe dich, du Barbar«, flüsterte sie lautlos in die Dunkelheit. »Ich werde dich immer lieben.« Jetzt erst flössen die Tränen haltlos über ihr Gesicht, und der salzige Strom wollte nicht versiegen.
Eine Woche verstrich, dann noch eine, und der Heiler erlaubte Kevin kurze Ausflüge aus dem Bett. Er fand Mara im östlichen Garten, den das Küchenpersonal benutzte, um Kräuter anzupflanzen. Sie trug das leichte, lockere Gewand, das sie gewöhnlich zum Meditieren vorzog, doch sie hatte die Regeln beiseite geschoben und saß mitten zwischen den staubigen Stielen aromatischer Pflanzen und betrachtete die vordere Straße. Boten kamen und gingen, meist erfüllten sie Aufgaben für Jican. Es war unwichtig, ob sie das geschäftige Hin und Her beobachtete oder in ihre Gedanken versunken war.
»Du bist wieder trübsinnig«, meinte Kevin anklagend, als er den Stock beiseite legte, der gewöhnlich das Gewicht von dem Bein mit der Schwertwunde nahm.
Mara drehte übel zugerichtetes Grünzeug zwischen ihren Fingern. Es war einmal ein schlanker Tira-Zweig gewesen, doch jetzt war er verwelkt, und die würzigen Blätter waren alle abgezupft. Von der Rinde abgeschälte Streifen verströmten einen berauschenden, stechenden Geruch. Die Lady, die den Zweig weiter mißhandelte, antwortete nicht.
Kevin ließ sich mit einigen Schwierigkeiten neben ihr nieder, sein immer noch verbundenes Bein vor sich ausgestreckt. Er nahm ihr den armseligen Stengel aus den Händen und seufzte, als er den Saft unter ihren Fingernägeln sah.
»Sie war wie eine Mutter für mich – und noch viel mehr«, sagte Mara unerwartet.
»Ich weiß.« Er mußte nicht fragen, ob sie von Nacoya sprach. Seine Antwort war sanft. »Du mußt mehr weinen, deine Trauer ganz herauslassen.«
Mara versteifte sich. »Ich habe genug geweint!« sagte sie mit einiger Schärfe.
Kevin neigte den Kopf zur Seite und fuhr mit den Fingern durch seine ungebändigten Haare. »Die Leute aus deinem Volk weinen nie genug«, entgegnete er. »Ungeweinte Tränen bleiben in deinem Innern, sie sind wie Gift.«
Er wollte Mara nicht von sich wegtreiben, doch sie stand abrupt auf, und mit seinem geschienten Bein konnte er nicht schnell genug aufstehen und ihr folgen. Als er endlich seinen Stock gefunden und sich erhoben hatte, um ihr hinterherzugehen, war sie bereits zwischen den Hecken verschwunden. Er hielt es für taktlos, ihr zu folgen. Heute nacht, im Bett, würde er noch einmal versuchen sie zu trösten. Doch es war nicht möglich, die Tragödie zu vergessen, die sie so erschüttert hatte, nicht bei den vielen Soldaten in ihren Rüstungen an beinahe jeder Ecke. Der Attentäter mochte Ayaki nicht getötet haben, doch das Ereignis hatte anderen Schaden hinterlassen. Beunruhigt und zurückgezogen in ihr eigenes Unglück fand Mara keinen Frieden in den Mauern ihres eigenen Heimes.
Kevin schlurfte aus dem Kräutergarten und entschied sich, den jungen Ayaki aufzusuchen. In einem geschützten Innenhof, außer Sichtweite der Hausbediensteten, hatte er dem Jungen beigebracht, wie man mit einem Messer kämpft. Der Umgang mit einem Messer mochte für einen Sklaven verboten sein, doch auf dem Boden der Acoma würde niemand einschreiten. Echte Tsuranis, die sie waren, übergingen sie geflissentlich seinen letzten Bruch mit dem Protokoll. Kevins Loyalität war erwiesen, und er glaubte, daß der Junge von seinen schlechten Träumen befreit werden würde, wenn er ein paar Tricks zur Selbstverteidigung beherrschte.
Doch heute war der Hof nicht verlassen, als Kevin mit einem entwendeten Küchenmesser und dem Erben der Acoma im Schlepptau dort auftauchte. Keyoke ruhte im Schatten des Ulo-Baums, zwei Übungsschwerter aus Holz zwischen den Knien. Er sah Kevin und Ayaki, und die Haut um seine Augen legte sich in tausend Fältchen, als er, was selten genug vorkam, lächelte. »Wenn du den jungen Krieger unterrichten willst, sollte jemand dabeisein und dafür sorgen, daß es auch richtig gemacht wird.«
Kevin grinste unbekümmert. »Der Lahme führt den Lahmen?« Er schaute nach unten, fuhr Ayaki über den dunklen Haarschopf und lachte. »Was hältst du von der Idee, kleiner Tiger, zwei alte Männer zu schlagen?«
Ayaki antwortete mit einem Acoma-Schlachtruf, der so laut war, daß sämtliche Bediensteten in Hörweite in Deckung gingen.
Auch Mara hörte den Ruf in ihrer abgeschiedenen Ecke des
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