Zeit des Aufbruchs
sie: »Ich habe Eure Loyalität nicht angezweifelt.«
Arakasi runzelte die Stirn und kam gleich zur Sache. »Es ist mir so wichtig wie mein Leben, daß Ihr es nicht tut.« Er blickte sie an, und endlich einmal waren seine dunklen Augen nicht von einem schützenden Schatten umgeben. »Lady, Ihr gehört zu den wenigen Herrschern in diesem Kaiserreich, die über die alten Traditionen hinaus denken, und Ihr seid die einzige Herrscherin, die willens ist, sie herauszufordern. Ich bin in Euren Dienst getreten, weil wir den gleichen Haß auf die Minwanabi teilten. Doch das hat sich geändert. Jetzt diene ich Euch um Euretwillen.«
»Weshalb?« Maras Augen blitzten kurz auf, ebenfalls unverhüllt.
Die Schatten der Lampen wurden düsterer, als der Himmel über ihnen sich verdunkelte. Arakasi machte eine ungeduldige Handbewegung. »Ihr habt keine Angst vor Veränderungen«, bemerkte er. »Diese kühne Eigenschaft ist es, die Euch weit bringen könnte, die Euer Haus möglicherweise zu dauerhafter Größe führen wird.« Er hielt inne, und ein verblüffend aufrichtiges Lächeln erhellte sein Gesicht. »Ich möchte dabeisein, ein Teil dieses Aufstiegs zur Macht. Die Macht selbst interessiert mich nicht. Doch was man mit ihr tun kann – hier muß ich ein schändliches Interesse eingestehen. Zeiten großer Veränderungen liegen vor uns, und dieses Kaiserreich ist in vielerlei Hinsicht schon viel zu lange erstarrt.« Er seufzte. »Ich weiß nicht, was getan werden kann, um unser Schicksal zu ändern, doch in den mehr als fünfzig Jahren meines Lebens habe ich keinen Herrscher gefunden, der fähiger wäre als Ihr, die Reformen durchzuführen.«
Mara atmete leise aus. Zum ersten Mal, seit sie diesen Mann kannte, war sie hinter seine Verschlossenheit gelangt. Endlich sah sie, was ihren rätselhaften Vertrauten wirklich antrieb. Er war ein Meister der Täuschung, doch jetzt war er völlig offen. In seinem Gesicht stand die Sehnsucht eines aufgeregten Jungen, und sie sah auch, daß ihm ihr Wohl sehr am Herzen lag, daß er sie mit allem versorgen würde, wonach sie verlangte. Inzwischen überzeugt, daß Nacoya recht hatte und es Grenzen gab, über die hinaus ein Herrscher oder eine Herrscherin niemals eine loyale Seele bedrängen sollte, lächelte sie. »Ihr erwähntet Neuigkeiten?« fragte sie mit möglichst gleichmütiger Stimme.
Arakasis Augen glänzten plötzlich vor Begeisterung. Er griff nach einer Obstscheibe. »Die Magier haben sehr geschäftig eigene Pläne verfolgt, wie es scheint. Die Gerüchte sind faszinierend und beinahe jenseits jeder Vorstellungskraft.«
Er lehnte sich entspannt in die Kissen zurück, und Mara bedeutete ihm mit einer Geste fortzufahren.
Er schluckte den Bissen hinunter und leckte sich über die Zähne. »Es ist überaus herausfordernd. Es heißt, daß zehn Erhabene aus der Versammlung der Magier zusammen mit dreitausend Kriegern der Kanazawai durch den Spalt nach Midkemia gingen. Es gab einen Kampf, doch es herrschen wilde Spekulationen über den Grund dafür. Einige sagen, der Kaiser wollte im Königreich Rache für den verräterischen Überfall bei den Friedensgesprächen nehmen.« Hier hielt der Supai eine Hand hoch, um die Herrin von eifrigen Fragen abzuhalten. »Dies ist nicht das Unglaubliche. Andere – Personen in zuverlässigen Ämtern – sagen, daß die Magier Krieg gegen den Alten Feind geführt hätten.«
Mara sah ihn verständnislos an.
»Der Alte Feind«, wiederholte Arakasi. »Derjenige aus den Mythen vor der Goldenen Brücke. Sicherlich haben Eure Lehrer Euch die Geschichten erzählt, als Ihr ein Kind wart.«
Mara rief sich die Erzählungen in Erinnerung, und langsam dämmerte es ihr. »Aber das sind doch Märchen!« protestierte sie. Sie blickte sich um und sah zu den Lampen, als wären die Schatten um sie herum plötzlich größer und dunkler geworden. »Sie sind nicht wahr.«
Arakasi schüttelte den Kopf, gleichzeitig verwundert und aufgeregt. »Das dachten wir«, pflichtete er ihr bei. »Doch wer kann schon wirklich ermessen, welche Feinde die Erhabenen herausfordern können, besonders da der Name dieses Abtrünnigen, Milamber, in diesem Zusammenhang auftaucht? Diese Mythen sind älter als jede Geschichte, so alt wie die Namen der Brüder, die einst die Fünf Familien gegründet haben. Wie können wir darüber urteilen, was in der lang zurückliegenden Vergangenheit wahr gewesen ist?«
Plötzlich schmerzlich beunruhigt, biß Mara sich auf die Lippe. »Die Kanazawai hatten
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