Zeit des Aufbruchs
Vorsicht, als könnte er Gift bei sich haben oder als würde er auf sonst eine Weise zurückschlagen. Ihr Blick wanderte zu Arakasis reglosem Gesicht, zu den in tiefen Höhlen liegenden, von dunklen Schatten umgebenen Augen. Hier waren keine Geheimnisse verborgen. Der Supai schien wie eine leere Hülle, als sei sein Geist aus ihm herausgesogen. Er erwartete das Ende, durch den Strick vermutlich, und seine Haltung drückte Verzweiflung aus. Das Feuer und der Stolz, die ihn zusammen mit seinem rasiermesserscharfen Verstand zu dem gemacht hatten, was er war, fehlten.
»Laßt ihn los«, sagte sie matt.
Die Soldaten gehorchten ohne Widerrede. Arakasi ließ die Arme sinken und zupfte aus Gewohnheit an den Ärmeln, bis sie wieder richtig saßen. Er stand mit gebeugtem Kopf da und mit einer unendlichen Geduld, deren Anblick schmerzte.
Wenn er schauspielerte, hatte er sie mit seinem außerordentlichen Talent geschlagen.
Die Luft schien träge und schwer, als Mara tief einatmete. »Arakasi«, begann sie langsam. Es war beinahe, als wartete sie auf eine nörgelnde Stimme, die sich in lautem Protest erhob; dann erinnerte sie sich, daß Nacoya tot war. Sie widmete sich wieder der Aufgabe, die vor ihr lag. »Ihr habt mir gedient, wie Ihr es für richtig hieltet. Euer Netzwerk versorgte mich mit Informationen; Ihr habt niemals Garantien abgegeben. Die Entscheidungen habt nicht Ihr getroffen, sondern ich, als Eure Herrscherin. Wenn es einen Fehler, eine Fehleinschätzung gegeben hat, liegt die Schuld ganz allein bei mir. Deshalb werde ich Euch nicht gestatten, Euch das Leben mit dem Dolch zu nehmen. Statt dessen bitte ich Euch um Vergebung für meine Schande, daß ich mehr verlangte, als ein loyaler Mann jemals sollte leisten müssen. Werdet Ihr mir weiterhin dienen? Werdet Ihr weiterhin Euer Netzwerk aufbauen und an der Vernichtung des Lords der Minwanabi arbeiten?«
Arakasi richtete sich langsam auf. Seine Augen wurden durchdringend, beunruhigend, unangenehm direkt. Er schien mitten in sie hineinzusehen, durch die grelle Sonne hindurch, durch den duftenden Staub der Blüten, durch das Fleisch ihres Körpers, direkt in ihren Geist. »Ihr seid nicht wie die anderen Herrscher in diesem Kaiserreich«, sagte er, und seine Stimme war bereits wieder von jener samtenen Weichheit. »Wenn ich mir eine Meinung erlauben darf, würde ich sagen, daß Ihr gefährlich anders seid.«
Mara senkte als erste den Blick. »Ihr könntet recht haben.« Sie drehte die Jade-Ringe an ihren Fingern. »Werdet Ihr mir weiter dienen?«
»Immer«, sagte Arakasi sofort. Er stieß einen tiefen, deutlich hörbaren Seufzer aus. »Ich habe Neuigkeiten, wenn Ihr sie hören wollt.«
»Später. Ihr könnt jetzt gehen und Euch erfrischen.« Mara blickte hoch und sah den Supai den Weg entlanggehen; sein Schritt wirkte plötzlich wie verjüngt.
»Wie habt Ihr festgestellt, daß er unschuldig ist?« fragte der Patrouillenführer, der gerade erst seine Jugend hinter sich hatte.
Mara zuckte leicht mit den Schultern. »Ich habe es nicht festgestellt. Doch ich sah ihn an und erinnerte mich an seine außergewöhnlichen Fähigkeiten.« Sie stand vor ihren verdutzten Kriegern auf, die Augen gedankenvoll in die Ferne gerichtet. »Glaubt Ihr, daß ein solcher Mann, wenn er meinen Tod gewünscht hätte, an der Aufgabe gescheitert wäre? Wenn er Tasaios Agent wäre oder der eines anderen, gäbe es den Natami der Acoma längst nicht mehr. Daran glaube ich fest. Und darum vertraue ich ihm.«
Dämmerung tauchte den Garten in silbergrünes Licht, als Arakasi mit seinem Bericht zurückkehrte. Er hatte inzwischen gegessen und gebadet und trug jetzt das Gewand eines Dieners, das er mit einer verzierten grünen Schärpe zugebunden hatte. Seine Sandalen waren mit peinlicher Genauigkeit geschnürt und die Haare frisch geschnitten. Mara bemerkte diese Einzelheiten, als er sich verbeugte und andere Bedienstete um sie herumgingen und die ersten Lampen anzündeten.
Er richtete sich leicht zögernd auf. »Mylady, Euer Vertrauen in mich ist nicht fehl am Platze. Ich wiederhole, was ich schon zuvor sagte: daß ich Eure Feinde vernichtet und ihren Namen ausgelöscht sehen möchte. Seit dem Augenblick, da ich bei Eurem Natami geschworen habe, bin ich ganz und gar Acoma.«
Mara nahm diese Versicherung mit aufmerksamem Schweigen entgegen. Schließlich klatschte sie in die Hände und bat eine Dienerin um ein Tablett mit frischen Früchten. Als sie und der Supai wieder allein waren, sagte
Weitere Kostenlose Bücher