Zeit des Aufbruchs
Fingern auf das Kissen bei seinen Knien. »Schickt der Hexe diese Nachricht: Ich werde den Waffenstillstand einhalten und mit ihr sprechen.« Als er Incomos düsteres Gesicht sah, kniff er die gelbbraunen Augen zusammen. »Ich sehe keinen Anlaß zu unnötiger Sorge. Mara und ihr Balg mögen dem Tod knapp entkommen sein, doch wenn ich das Weiß und Gold besitze, gehören die beiden zu den ersten meiner Feinde, derer ich mich entledigen werde.« Anmutig, schnell und von seiner Meinung überzeugt stand er auf. »Ich zeige mich möglicherweise großherzig. Vielleicht lasse ich die dummen Narren vom Clan Hadama am Leben, aber nur, wenn sie meine Vasallen werden, nachdem sie erlebt haben, wie ich den Namen der Acoma für immer auslösche.« Mit einem seltenen Lächeln fügte er hinzu: »Ihr sorgt Euch zuviel, Incomo. Ich kann immer noch nein sagen, egal, welches Angebot Mara macht.«
Incomo verhielt sich still. Er hatte das schreckliche Gefühl, daß Tasaio genau tun würde, was Mara sich wünschte, wenn er ihr Angebot zurückwies. Der Erste Berater verbeugte sich, drehte sich um und ging, um die Nachricht zu überbringen.
In der alten Sprache des Szetaci-Volkes hieß der Wind Butana, was in der Übersetzung soviel bedeutete wie »der Wind der Dämonen«. Er blies mehrere Tage lang, manchmal sogar Wochen. Die Windstöße waren trocken und peitschten in kräftigen, heulenden Böen aus den fernen Bergen herunter. In der heißen Jahreszeit konnten solche Winde ein Stück nicht zugedecktes Fleisch oder Früchte innerhalb weniger Stunden ausdörren. In der kalten Jahreszeit brachten sie kühle Luft mit, und bei Nacht fielen die Temperaturen, so daß die Menschen in ihre Häuser flüchteten und sich um Feuerstellen scharten oder unter Lagen von Gewändern verkrochen. Wenn der Butana blies, so behauptete das gewöhnliche Volk, wurden Hunde verrückt, und Dämonen schritten in der Verkleidung von Menschen über das Land. Man wußte von Ehemännern, die schreiend in die Nacht hinausgelaufen und niemals mehr gesehen worden waren, von Frauen, die bis zum Selbstmord melancholisch wurden. Zahlreiche Legenden kündeten von übernatürlichen Geschöpfen, die dann erschienen, wenn der Butana über das Land tobte. Der Graue Mann, ein uralter Mythos, ging angeblich in Nächten wie dieser umher. Eine allein reisende Person mußte ein Rätsel beantworten, wenn sie ihm begegnete; sie wurde belohnt, wenn die Lösung seine Zustimmung fand, oder verlor den Kopf, wenn der Graue Mann unzufrieden war. So lauteten die Geschichten über den Butana, den bitteren, trockenen Wind, der in dieser Nacht blies.
Unter einem klaren Sternenhimmel standen sich auf einem Hügel außerhalb der Stadtmauern zwei kleine Armeen gegenüber und warteten. Fackeln loderten, Banner flatterten in den Windböen und warfen ein flüchtiges Spiel aus Licht und Schatten über Gesichter, die vor Sorge angespannt waren. Offiziere mit Federbüschen auf ihren Helmen hatten vor den in Reih und Glied wartenden Soldaten ihre Position eingenommen. Und am Kopf der beiden Armeen stand ihr Oberhaupt, auf der einen Seite eine Frau in schimmernder grüner Seide und Smaragden, auf der anderen eine geschmeidige, raubtierhafte Gestalt in schwarzer Rüstung mit schwarzen und orangefarbenen Buckeln.
In der Mitte, in gleicher Entfernung zu beiden, wartete ein kaiserlicher Herold, dessen Amtsrobe unter dem blassen Viertelmond wie Elfenbein glitzerte. Mit einer Stimme, die laut genug war, um vom Wind in alle Richtungen getragen zu werden, wandte er sich an die beiden erwartungsvollen Gruppen. »Wisset, daß der Kaiserliche Friede über dieser Stadt und dem umgebenden Land liegt! Niemand soll in Wut oder aus Vergeltung das Schwert ziehen. So befiehlt es das Licht des Himmels!« Er wandte sich an die Gruppe um Tasaio. »Diese Lady von edlem Rang und Geschlecht erklärt, gekommen zu sein, um mit Euch zum Wohle des Kaiserreiches zu verhandeln. Mylord, willigt Ihr ein?«
Tasaio nickte, was dem Boten genügte. Er wandte sich jetzt der grasbestandenen Fläche zu, wo Mara wartete, und erhob wieder seine Stimme über das anschwellende Heulen des Windes. »Mylady, dieser Lord willigt in Eure Bitte um ein Gespräch ein und ist bereit, sich mit Euch zum Wohle des Kaiserreiches zu unterhalten.«
Mara verbeugte sich; sie behielt bewußt die übliche Höflichkeit bei, um sich von dem Fehltritt ihres Feindes abzusetzen.
Der Herold nahm die ihm gebührende Ehrerbietung zur Kenntnis, doch sie beruhigte ihn
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