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Zeit des Aufbruchs

Zeit des Aufbruchs

Titel: Zeit des Aufbruchs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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Liebhaber, mehr als der Mann, dem sie vertrauen konnte: Er war die Wurzel des Baums ihrer eigenen Entschlossenheit. Sie mußte sich auf seine Stärke verlassen, um das Kaiserreich zu verändern, es in einer neuen, moralischen Weise ehrenhaft zu machen. Ohne ihn schien alles so freudlos, die Macht, die Ziele, die glänzenden Visionen, die sie für die Zukunft bereithielt, im Augenblick ohnehin überschattet von ihrem Schwur gegenüber Tasaio. Mara lag in Kevins Armen und lauschte dem kräftigen Schlag seines Herzens, der sich mit dem hohlen Klagegesang des an den Läden rüttelnden Windes vermischte.
    Irgendwie, ganz gegen seine impulsive Natur, spürte Kevin, daß ihr Aufruhr keine Fragen dulden würde. Sein Einfühlungsvermögen verletzte sie, beraubte sie einer absurden Entschuldigung, sich in Verärgerung zu flüchten und ihn wegzuschicken. Mara erduldete das zärtliche Streicheln seiner Hände, gequält von dem Wissen, daß es die letzte Nacht war, in der sie sich würden berühren können. Schließlich fiel sie erschöpft neben ihm in einen von unruhigen Träumen gestörten Schlaf. Er lag wach, ihr Kopf in seine Schulterbeuge gebettet.
    In all den Jahren, die er sie nun schon kannte, hatte er sie niemals so außer sich gesehen. Doch da er selbst seine Gefühle immer offenbart hatte, kam es ihm niemals in den Sinn, daß ihre Liebe für ihn der verborgene Grund ihrer Qualen sein könnte.

    Die Dämmerung brach an, so unerwünscht wie die Ankunft des Henkers. Mara raffte ihr letztes Quentchen Mut zusammen und schickte Kevin weg, bevor die morgendliche Übelkeit begann. Sie verbrachte eine fürchterliche Zeit, hin und her gerissen zwischen Tränen, die aus den geschwollenen Augen nicht fließen wollten, und dem Auf und Ab ihres Magens. Ihre Zofen arbeiteten unermüdlich daran, ihr zumindest den Anschein von ordentlichem Aussehen zu verleihen. Als sie endlich soweit war, sich der Öffentlichkeit präsentieren zu können, war es bereits fast Mittag. Mara trat aus ihren Gemächern und fand die Eskorte, die Saric heimlich zusammengestellt hatte, bereits an der Tür wartend. Kevin, der von der Erklärung des Kaisers nichts ahnte, wartete an seinem üblichen Platz bei der Sänfte, die roten Haare wie immer zerzaust. Ein besorgter Ausdruck stand in seinem Gesicht. Bei dem Anblick seiner blauen, auf sie gerichteten Augen brach Mara beinahe zusammen.
    Doch dann spürte sie tief in ihrem Innern das starke Erbe ihrer kriegerischen Ahnen. Mit Hilfe ihrer im Tempel erlernten Übungen verbannte sie den Aufruhr ihrer Gefühle und zwang sich, einen Schritt zu gehen, dann noch einen, bis sie schließlich ihre Sänfte erreicht hatte. Aus verzweifelter Notwendigkeit ließ sie sich von Saric auf ihren Platz helfen. »Wir müssen gehen«, sagte sie mit einer Stimme, die sie kaum als ihre eigene erkannte.
    Sie nannte kein Ziel; diese Angelegenheit hatte Saric bereits geregelt, und Lujan wußte, was bevorstand. Doch diese Besonderheit erregte Kevins Verdacht. »Wohin gehen wir heute?« fragte er mit einer gewissen Schärfe.
    Mara wagte nicht zu sprechen. Sie wußte, daß Tränen in ihren Augen standen, und zog rasch die Vorhänge zu. So war es Lujan, der die Träger aufforderte, sich zu erheben, und ihre Ehrengarde aus dem Hof marschieren ließ. Sarics Blick ruhte beinahe mit Bedauern auf dem Midkemier.
    »Würde mir bitte jemand erklären, warum sich alle so verhalten, als gingen wir zu einer Beerdigung?« klagte Kevin vorwurfsvoll. Doch die einzige Antwort war tsuranisches Schweigen, und er reagierte darauf mit seinem üblichen Geplänkel.
    Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sein zügelloses Verhalten die Soldaten zutiefst in Versuchung geführt, doch heute verfehlten selbst seine derbsten Bemerkungen ihr Ziel und stießen auf taube Ohren. Kaum jemand deutete auch nur ein Lächeln an, erst recht lachte niemand laut.
    »Götter, jeder hier ist so lebendig wie eine Leiche.« Nachdem er erst darüber jammerte, daß er auf diese Weise einige seiner besten Witze verschwendet hatte, verfiel Kevin in Schweigen, als die Eskorte durch die geschäftigen Straßen Kentosanis schritt und sich dann zum weniger angenehmen Teil am südlichen Flußufer wandte.
    Vor ihnen lag eine Palisade aus großen, schweren Brettern. Kevin blieb abrupt auf der Straße stehen, und nur die Reflexe der Krieger verhinderten, daß sie von hinten in ihn hineinrannten. »Ich habe solche Plätze schon gesehen«, kam es in einem vorwurfsvollen Ton ungebändigter Frechheit.

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