Zeit des Aufbruchs
»Warum gehen wir zum Sklavenmarkt, Mara?«
Die Krieger warteten nicht erst auf ein Zeichen; Kevins Reaktionen waren viel zu wenig vorhersehbar, als daß das Mißachten von Feinheiten nicht riskant gewesen wäre. Rasch, flink und in vereinter Stärke scharten sie sich um den Midkemier und zogen ihn an den Handgelenken mit sich.
Kevin fühlte sich in die Enge getrieben und drehte sich wütend herum, doch es kam einen Augenblick zu spät. Die Krieger stöhnten vor Anstrengung, konnten ihn aber festhalten.
Das geschäftige Hin und Her auf der Straße wurde durch das Gerangel aufgehalten, und Köpfe wandten sich zu ihnen herum.
»Bei den Göttern!« Kevin explodierte in einem Gebrüll furchtbarer Enttäuschung. »Du verkaufst mich!«
Der Schrei zerriß Mara beinahe das Herz. Sie schlug den Vorhang der Sänfte zurück und starrte in die blauen Augen, in denen abgrundtiefer Zorn loderte. Doch sie konnte nichts sagen.
»Warum?« schrie Kevin so verzweifelt, daß sie das Wort wie einen Peitschenhieb spürte.
Es war Lujan, der jetzt etwas rauh antwortete, denn auch seine Stimme drohte Gefühle zu enthüllen, die sich für einen Krieger nicht ziemten, noch weniger für einen Offizier seines Ranges. »Sie trennt sich nicht freiwillig von dir, Kevin, sondern auf Befehl des Kaisers!«
»Verflucht sei das Licht des Himmels!« schrie Kevin. »Verflucht sei euer verdammter Kaiser bis ins tiefste Loch der Siebten Hölle!«
Schaulustige steckten ihre Köpfe aus den Fenstern, und immer mehr Passanten hielten an, um zu gaffen. Einige Bauersfrauen machten das Zeichen gegen Blasphemie, und ein Kaufmann am Straßenrand äußerte mit säuerlicher Miene den Gedanken, nach einem Priester zu schicken. Nicht gewillt, wegen der Großmäuligkeit eines Ungläubigen von den Tempeln überprüft zu werden, preßte einer der mit Kevin weniger bekannten Krieger ihm die Hand auf den Mund.
Der Barbar explodierte förmlich. Er riß eine Hand los und schlug zwei Wachen nieder, bevor irgendeiner der anderen sich bewegen konnte. Die Männer hatten den Befehl, nicht die Waffen zu ziehen, doch als Lujan sich in das wogende Getümmel stürzte, das sich um den Midkemier gebildet hatte, betete er, daß niemand es vergessen würde. Kevin kämpfte wie ein Besessener, und angesichts seiner Größe konnte niemand, der vom Rand aus zusah, übersehen, daß er längst die vorgegebenen Grenzen überschritten hatte. Er war wütend genug, das Protokoll zu vergessen, und sollte es ihm gelingen, einem Krieger ein Schwert aus der Scheide zu reißen, konnte nicht einmal der Kaiser ihn vor dem Tod bewahren.
Lujan sah die Furcht in Maras Augen. Er raffte eine Wut in seinem Innern zusammen, die einem Harulth alle Ehre gemacht hätte, und stürzte sich in die Menge.
Der Ringertrick, den er anwandte, zeigte Wirkung und brachte Kevin aus dem Gleichgewicht. Lujan warf ihn rücklings auf das Kopfsteinpflaster, während ein anderer Soldat mit seinem Gewicht den Kommandeur unterstützte.
Die meisten Männer hätte dieser Sturz benommen gemacht. Nicht den Midkemier. Er wurde von einer Wut getrieben, die an körperliche Qual grenzte und von Gefühlen gespeist wurde, die keine Vernunft in Grenzen halten konnte. Er fiel mit einer Wildheit über Lujan her, daß er ihn hätte töten können. Knapp einem Kniestoß in die Lenden entronnen, kämpfte der Kommandeur gegen einen Wirbelwind aus Fleisch und Blut.
Es gelang ihm, Befehle an seine Männer zu geben. »Kommt näher! Benutzt die Schilde und Körper, um dieses Chaos vor den Augen der Öffentlichkeit abzuschirmen.«
Eine Faust fuhr an seiner Wange entlang. Er spürte das Brennen aufgeschürfter Haut und ließ sich zu einem seltenen Fluch herab. »Verflucht, Mann, hörst du jetzt endlich auf, bevor ich gezwungen bin, dir weh zu tun?«
Kevin zischte eine Obszönität. »… wenn du eine Mutter hättest!« beendete er.
Lujan hatte gesehen, daß der Sklave, den er zu bändigen versuchte, nicht gezögert hatte, sich unbewaffnet auf feindliche Krieger zu stürzen, und er reagierte reflexartig. Verzweifelt und voller Sorge und Bewunderung für Kevin wandte er die unehrenhafte, brutale Technik an, die er in den Bergen als Grauer Krieger gelernt hatte. Ein anderer Verbrecher hätte die Bewegungen erkannt; jeden ordentlichen tsuranischen Soldaten beschämte es viel zu sehr, die Faust in die Lenden eines Gegners zu stoßen. Kevin brach unter einem Schlag zusammen, der nichts mit Fairneß zu tun hatte, und wälzte sich zusammengekrümmt
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