Zeit des Aufbruchs
andere Lord auf und ging zu einem der drei Anwärter. Nach einiger Zeit standen wieder andere auf und ließen ihre Wahl erkennen.
»Augenblick mal!« sagte Kevin. »Dieser Lord mit dem Federschmuck auf dem Kopf sprach vorher mit dem Minwanabi. Jetzt spricht er mit dem Lord der Oaxatucan.«
Mara nickte. »Das Gleichgewicht verändert sich ein paarmal.«
Der Nachmittag verlief schleppend. Während Streifen aus Sonnenlicht über die hohe Wölbung der Kuppel wanderten, fuhr der Hohe Rat mit der seltsam anmutenden Wahl des Herrschers der Herrschenden des Kaiserreiches fort. Noch zweimal erhob sich Mara und sprach mit dem Lord der Xacatecas, um ihre ungebrochene Unterstützung für den jungen Mann zu bekräftigen.
Dann, als der Abend hereinbrach, nickte Mara auf ein unsichtbares Signal hin. Im nächsten Augenblick erhoben Lord Hoppara und sie sich und schritten gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen auf den Stuhl Axantucars zu. Ein Raunen ging durch den Saal. Plötzlich verließen andere Edle ihre Plätze und traten vor den Lord der Oaxatucan.
Dann kehrte Mara auf ihren Platz zurück und sagte. »Jetzt.«
Kevin sah, wie sie ihre Augen auf Tasaio richtete. Der Lord der Minwanabi warf ihr einen solch haßerfüllten Blick zu, daß Kevin kalte Schauer über den Rücken jagten. Inzwischen schmerzten seine Wunden, und die Gewänder juckten, und jeder blaue Fleck machte das lange Stehen zu einer einzigen Qual.
Während Kevin noch darüber grübelte, wie lange der Rat noch ohne einen Beschluß fortfahren könnte, veränderte sich plötzlich die Stimmung im Saal, und aus abwartender Reglosigkeit wurde angespannte Erwartung.
Tasaio erhob sich. Absolute Stille breitete sich in der großen Halle aus; alle verharrten reglos auf ihren Plätzen. Mit einer Stimme, die in der Stille unverhältnismäßig laut klang, erklärte der Lord der Minwanabi: »Es ist angebracht, dem Licht des Himmels die Nachricht zu übersenden, daß jemand unter uns willens ist, das Weiß und Gold zu tragen, vor uns zu treten und den Bestand des Kaiserreiches zu garantieren. Laßt ihn wissen, daß sein Name Axantucar von den Oaxatucan ist.«
Jubel erscholl in der Versammlung, und das gewaltige Echo drang bis unter die höchsten Bögen des Daches. Doch Kevin bemerkte, daß mehr als die Hälfte der Lords nur mäßig begeistert reagierte. »Warum hat der Lord der Minwanabi aufgegeben?« fragte er Arakasi.
Mara selbst antwortete ihm: »Er ist geschlagen. Es ist Tradition, daß der Lord, der dem Sieger am nächsten kam, ihn dem Kaiser gegenüber ernennt.«
Kevin lächelte. »Das ist bitter.«
Die Lady der Acoma nickte langsam. »Allerdings.« Als hätte sie das Unbehagen gespürt, das ihrem Barbaren die Energie raubte, fügte sie hinzu: »Geduld. Die Tradition erfordert, daß wir warten, bis das Licht des Himmels die Wahl anerkennt.«
Kevin hielt sich, so gut er konnte. Obwohl der Rat an diesem Tag zusammengerufen und ein neuer Kriegsherr gewählt worden war, war der Barbar noch längst nicht davon überzeugt, daß Ichindar ein so großer Sklave der Tradition war, wie Mara glaubte. Doch er sagte nichts. Nach einer halben Stunde trat ein Bote in weißgoldener Livree ein, umgeben von Kaiserlichen Weißen. Sie trugen Mäntel mit schneeweißen Federn, deren Ränder in schimmerndes Gold getaucht waren, und verneigten sich vor dem Stuhl der Oaxatucan und präsentierten Axantucar den Mantel.
Kevin betrachtete den neuen Kriegsherrn, dem der Mantel um die Schultern gelegt wurde. Während sein Onkel Almecho ein Mann mit einer breiten Brust und einem Stiernacken gewesen war, sah dieser Neffe eher wie ein schlanker Poet oder Lehrer aus. Seine Gestalt war außerordentlich schmal, das Gesicht sehr asketisch, beinahe zart. Doch der Triumph in seinen Augen entlarvte die gleiche habgierige Seele wie die von Tasaio.
»Er scheint zufrieden zu sein«, sagte Kevin atemlos.
Arakasi antwortete leise: »Er sollte es auch sein. Er muß einen großen Teil seines Erbes darauf verwandt haben, ein halbes Dutzend Lords ermorden zu lassen.«
»Ihr glaubt, die schwarzgekleideten Krieger kamen von ihm?«
»Ziemlich sicher.«
Mara schaltete sich ein. »Warum sollte er Soldaten auf uns hetzen? Wir hätten jeden Rivalen von Tasaio unterstützt.«
»Um unvorhersehbare Bündnisse zu verhindern. Und um sicherzugehen, daß die Schuld für das Gemetzel den Minwanabi zugeschoben wird.« Arakasi geriet plötzlich in mitteilsame Stimmung, vielleicht aus Befriedigung über die Niederlage
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