Zeit des Aufbruchs
doch ein Ruf vom Ufer lenkte sie ab.
Der Bootsmann machte die Leinen los. Ruderer begannen zu singen, und das Boot entfernte sich von Kentosani und wandte sich flußabwärts. Die Nachmittagsbrisen zupften an den Fähnchen über der Markise, und Mara fühlte, wie ihr Herz leicht wurde. Tasaio hatte eine Niederlage erlitten, und sie kehrte wohlbehalten nach Hause zurück. »Komm her«, meinte sie zu Kevin. »Laß uns etwas Kühles trinken.«
Die Boote passierten die südliche Grenze der Heiligen Stadt, und am Ufer war grünes, bebautes Land zu sehen. Der Geruch von Flußschilf vermischte sich mit dem vollen Aroma der Frühlingserde und dem stechenden Geruch der Ngaggi-Bäume. Die Türme der Tempel schrumpften, und Mara döste zufrieden vor sich hin, den Kopf gegen Kevins Oberschenkel gelehnt.
Ein Schrei vom Ufer weckte sie. »Acoma!«
Ihr Kommandeur jubelte vom Bug des ersten Bootes aus zurück, und jetzt deutete die gesamte Dienerschaft auf einen Haufen Zelte am Flußrand. Ein Kriegslager von gewaltiger Größe breitete sich auf der Wiese aus, und von der höchsten Stange flatterte ein grünes Banner mit dem Emblem eines Shatra-Vogels im Wind. Auf Maras Befehl wechselte der Steuermann den Kurs und hielt auf das Ufer zu, und als das Boot endlich die
Untiefen erreicht hatte, warteten etwa eintausend Acoma-Soldaten darauf, ihre Herrin begrüßen zu können. Mara staunte über ihre große Zahl, und ihre Kehle schnürte sich vor Rührung zusammen. Kaum zehn Jahre waren vergangen, seit sie den Mantel der Herrscherin angelegt hatte, und nur siebenunddreißig Soldaten waren übrig gewesen, um das Acoma-Grün zu tragen …
Drei Befehlshaber grüßten sie und verbeugten sich vor ihr, als Kevin ihr aus der Sänfte auf den festen Boden half. »Willkommen, Lady Mara!«
Mit lautem Jubel bezeugten die Krieger ihre Freude darüber, die Lady wiederzusehen. Die drei Offiziere formierten die Reihen und begleiteten Mara durch die Truppen zum schattigen Vordach des Kommandozeltes.
Dort wartete Keyoke, wie immer aufrecht auf seiner Krücke. Er verbeugte sich förmlich und meinte: »Mistress, Euer Anblick erfüllt unsere Herzen mit Freude.«
Mara mußte gegen plötzlich aufsteigende Tränen ankämpfen; dann antwortete sie: »Und Euer Anblick läßt mein Herz jubeln, teurer Kamerad.«
Keyoke verbeugte sich bei dieser Liebenswürdigkeit und trat beiseite, damit sie hineingehen und es sich auf den Kissen über den dicken Teppichen bequem machen konnte. Kevin sank neben ihr auf die Knie. Er knetete ihren Rücken mit der Hand, die keine Verletzung erlitten hatte, und spürte, wie ihre Spannung sich unter seiner Berührung in ruhige Zufriedenheit auflöste.
Keyoke, immer noch auf seinem Posten neben dem Eingang, sah, wie sich Ruhe auf dem Gesicht seiner Herrin ausbreitete. Und so, wie er in der Vergangenheit Lord Sezu von der äußeren Welt abgeschirmt hatte, tat er es jetzt für Mara, als Lujan sich mit Arakasi, Befehlshaber Kenji und den wenigen gesunden Überlebenden der Nacht der blutigen Schwerter näherte. Ein geheimnisvolles Lächeln zuckte um die Lippen des alten Getreuen, als er ihnen mit erhobener Hand Einhalt gebot.
»Kommandeur«, sagte der frühere Inhaber dieses Amtes, »wenn ich einen Vorschlag machen darf. Es gibt Zeiten, da man manche Dinge besser ruhen läßt. Kehrt morgen früh zu Eurer Mistress zurück.«
Lujan beugte sich Keyokes Erfahrung und forderte die anderen auf, mit ihm zusammen eine Runde Hwaet-Bier zu trinken.
Im Innern des kühlen Zeltes blickte Kevin fragend auf den alten Mann, der anerkennend mit dem Kopf nickte, dann die Schlaufen der Türvorhänge löste und sie sanft zufallen ließ. Jetzt stand Keyoke vor dem Zelt und schaute in die Sonne. Seine herben Gesichtszüge blieben ausdruckslos, doch in seinen Augen funkelte Stolz auf den Geliebten der Frau, die er als Tochter in sein Herz geschlossen hatte.
Arakasis Bote hatte ihnen ziemlich eindringlich geschildert, wieviel die Acoma Kevins Mut und seinen Fähigkeiten im Umgang mit dem Schwert verdankten. Keyokes Gesicht wurde eine Spur weicher, als er an den Stumpf dachte, der einmal sein rechtes Bein gewesen war. Bei den Göttern, wurde er womöglich weich im Alter? Er hätte niemals gedacht, daß einmal der Tag kommen würde, an dem er für die Unverfrorenheit des rothaarigen barbarischen Sklaven dankbar sein würde.
Die abendlichen Schatten verdüsterten die große Halle der Minwanabi in der Stunde, da Lord Tasaio zurückkehrte. Er war immer noch
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