Zeit des Lavendels (German Edition)
ihr Hilfe. Sonst machte sie am Ende noch irgendwelche Dummheiten. »Ich kenne Euch. Ihr gebt ja doch keine Ruhe. Aber noch ist es nicht so weit. Versprecht Ihr mir zu warten, bis es an der Zeit ist, und nicht überstürzt zu handeln? Außerdem ... wo wollt Ihr denn suchen in Italien?«
Magdalena von Hausen schaute zu Boden. »Ich verspreche Euch, ich werde warten. Ich bin auch Euch und den Menschen hier etwas schuldig. Wo ich suchen soll? Regine Steirer, die Wirtin des Adlers in Vaduz, die Dorothea Offenburg aufnahm, hat mir eine Geschichte erzählt. Sie sprach von einem traurigen Weihnachtsfest, einer einsamen, schwachen Frau, die ihr Kind verloren hatte. Und dabei erzählte sie ganz nebenher auch noch von einem Mann. Einem dunklen, schweigsamen Hünen, der nur darauf wartete, weiterzukommen, der nach Italien wollte. Ich wurde aufmerksam und fragte nach. Das war bestimmt Konz. Konz Jehle von der Niedermühle. Und das kann nur eines heißen. Er hat die Spur von Thomas Leimer gefunden. Warum sonst wollte er nach Italien? Mein Gatte muss nach Italien gegangen sein. Dorothea Offenburg vermutete, dass Rom sein Ziel war. Nein, es gibt kaum noch Zweifel. Und inzwischen sind sie wohl beide in Rom. Möge der Himmel helfen, dass ich zur rechten Zeit von hier fort kann, um mein Versprechen einzulösen.«
Hans Jakob von Schönau nahm schüchtern die Hand der Frau neben sich und drückte sie ermutigend. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Eine Zeit lang standen die beiden Menschen stumm beieinander. Dann blickte die Frau wieder auf den massigen Mann neben sich. Ein entschlossener Blick lag in ihren Augen. »Versprecht es.«
»Was soll ich versprechen?«
»Dass Ihr mir helft, zu gehen, wenn es so weit ist. Versprecht es.«
Hans Jakob von Schönau nickte widerwillig. »Also gut. Ich verspreche es.«
»Bei Eurer unsterblichen Seele?«
»Bei meiner Seele.«
Niemand in Seggingen außer Hans Jakob von Schönau hat jemals erfahren, wer diese Fremde war. Sie kam als Ursula Brutschin, die schwer kranke Frau des Tuchhändlers Johannes Brutschin, der im Auftrag des Hauses Fugger nach Italien gereist war und seine Frau hatte zurücklassen müssen. Und unter diesem Namen wurde sie auch begraben. Ganz in der Nähe der alten Nele, der Heilerin von Seggingen.
18
S anta Maria Maggiore war Giovanna die liebste der römi- schen Kirchen. Sie mochte dieses bis ins kleinste Detail ebenso prunkvoll wie liebevoll gestaltete Gotteshaus. Der reich verzierte, marmorne Fußboden, die vergoldete, matt glänzende Kassettendecke — und vor allem das über 200 Jahre alte Aspismosaik. Jacopo Torriti hatte darin den Triumph Marias dargestellt. Es schien die Quelle jenes geheimnisvollen Leuchtens in diesem Kirchenraum zu sein, das die Gegenwart des Allmächtigen fast fühlbar machte.
Giovanna ging oft in diese Basilika. Ihr hoch aufragender, herrlicher Glockenturm begrüßte sie schon von weitem. Neben dem Vesta-Tempel mit dem Ausblick auf den Tiber, die Insel im Fluss und das jüdische Ghetto, war dies einer ihrer Lieblingsorte. Santa Maria Maggiore verkörperte die gute Seite ihres Lebens, ihren von Kind an gepflegten, tiefen Glauben an die Madonna und ihre Güte. Der Vesta-Tempel, benannt nach dem einstigen Tempel der Vestalinnen, den jungfräulichen Priesterinnen des alten Roms auf dem Forum Romanum, war die andere Seite. Die der Frau. Die der Hure. Denn irgendwie betrachtete sich Giovanna als Erbin jener Priesterinnen, die ihren Leib 30 Jahre lang dem Dienst der Vesta weihen mussten. Auch sie widmete ihren Leib anderen. Zumeist waren es Kleriker. Nicht die großen Herren, die Bischöfe oder gar die Kardinäle. Eher deren Sekretäre. Doch wer weiß ... Sie war erst 16. Ihre Sonne als Tochter der Venus für die Pfaffen ging gerade erst auf.
Giovanna runzelte die Stirn. Da war noch etwas an Santa Maria Maggiore, das sie liebte: Hier hatte sie Ruhe, um nachzudenken. Ein Gedanke beschäftigte sie in der letzten Zeit immer wieder. Sie brauchte einen Beschützer. Erst neulich hatte ein Priester sie mit seinen perversen Gelüsten übel zugerichtet. Als Tochter einer Jüdin und eines Mönchs hatte sie niemanden, der sich um sie kümmerte. Sie gehörte nirgendwohin, weder ins jüdische Ghetto noch zu den anständigen Römern. Ihr Zuhause waren die Straßen des Stadtteils Trastevere, die Schänken, die dunklen Ecken, die Hinterhöfe. Auch wenn sie sich im letzten Jahr mühsam einen gewissen Lebensstandard erarbeitet hatte. Die meisten Pfaffen waren
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