Zeit des Lavendels (German Edition)
knausrig. Sie wollten die Pforte ins Liebesparadies am liebsten für Gotteslohn durchreiten. Doch inzwischen hatte sie zwei Stammkunden, die die kleine Venus von Trastevere etwas großzügiger bedachten. Giovanna kicherte leise vor sich hin. Venus von Trastevere. Dieser Name gefiel ihr. Einer ihrer Liebhaber hatte sie so genannt.
Doch das rief ihr das Problem wieder in Erinnerung. Sie brauchte einen Beschützer, den sie rufen konnte. Sie konnte es sich nicht leisten, dass ihr einer ihrer Liebhaber noch irgendwann den Arm brach oder am Ende das Genick.
Wieder einmal fiel ihr Blick auf den einsamen Mann, der ganz vorne in der Basilika kniete. Breiter Rücken, starke Schultern, lockiges, schwarzes Haar, das sich ungekämmt unter dem Rand der Lederkappe hervorkringelte und ein ganzes Stück weit über den Kragen seiner groben Jacke fiel. Der Kleidung nach hatte er bessere Zeiten gesehen. Der gebeugte Nacken hatte etwas Anrührendes, Verlorenes; so, als sei er entwurzelt und wisse nicht wohin.
Der Eindruck verstärkte sich, als er aufstand. Ein gutes Gesicht, so weit es aus dem wirren, schwarzen Bart heraus-leuchtete: warme, traurige, braune Augen, eine hohe Stirn. Und gewachsen war er — fast wie Jupiter. Giovannas Interesse wuchs. Sie folgte ihm, als er aus der Kirche trat und im hellen Licht der warmen Maisonne mit den Augen blinzelte. Er wirkte unschlüssig, wohin er jetzt gehen sollte.
Ganz die lebenserfahrene Römerin sprach sie ihn an. »Na, Fremder, du weißt wohl nicht, wohin?«
Konz Jehle drehte sich verwirrt um. Ein junges, hübsches Mädchen stand vor ihm, recht ordentlich gekleidet, die Hüfte mit keckem Schwung ein wenig nach hinten gedrückt. Er schaute sie fragend an. Er hatte kein Wort von dem verstanden, was sie sagte.
Giovanna begriff sofort, dass er kein Italienisch sprach. Na, das konnte ja heiter werden. Aber vielleicht ... So schnell ließ sich die Venus von Trastevere nicht entmutigen. Anerkennend glitt ihr Blick noch einmal über die breiten Schultern, hinunter über die schmalen Hüften, über die Beule vorne in seiner engen Hose und weiter zu den strammen Schenkeln. Diesmal sprach sie ganz langsam, nahm ihre schlanken, beweglichen Hände zu Hilfe. »Ich bin Giovanna. Und du? Wo kommst du her? Hast du eine Unterkunft?«
Konz schüttelte den Kopf und lächelte unsicher. Die Kleine versuchte offenbar, ihm zu erklären, dass sie Giovanna hieß. So hob auch er eine Hand und deutete auf seine Brust. »Konz«, sagte er, »ich heiße Konz.«
Giovanna hatte den nächsten Pluspunkt an ihrer neuen Bekanntschaft entdeckt. Er hatte sogar gute Zähne. Viele ihrer Liebhaber waren schon älter, hatten sich vom besten Mannesalter längst verabschiedet — ebenso wie von den meisten ihrer Zähne. Und der schmerzende Rest der fauligen Ruinen in ihrem Mund verpasste ihnen nicht nur meist schlechte Laune, sondern auch noch einen äußerst abstoßenden Mundgeruch. Dieser hier schien jedenfalls keine fauligen Stummel im Kiefer herumzutragen. Außerdem wurde ihr langsam klar, dass er wohl wirklich nicht wusste, wohin. Zumindest hatte er vorhin ziemlich unschlüssig ausgesehen.
Giovanna deutete auf ihren Magen. »Hast du Hunger?«, fragte sie.
Konz machte ein komisch verzweifeltes Gesicht. Nun wollte das Mädel auch noch etwas zu essen von ihm haben. Aber er hatte nichts. Seit Wochen, seit er in Rom angekommen war, brachte er sich halbwegs mit Betteln durch. Doch die Menschen in den großen Palazzi waren nicht allzu freigiebig; auch nicht die vielen Kleriker, die die Straßen bevölkerten. Nachts schlief er unter den Tiberbrücken, ständig auf der Hut vor dem Heer der Obdachlosen, das in der Stadt unterwegs war. Die Armen liebten die nicht, die noch weniger besaßen. Eines hatten sie ihm jedenfalls schnell und eindringlich klargemacht: Die besten Bettelplätze — die vor den Kirchen und die auf den Piazzas — waren in festen Händen. Wehe dem, der sich der Ordnung der Diebe widersetzte. Eine kräftige Tracht Prügel, verabreicht von einer ganzen Gruppe finster aussehender Gestalten hatte ausgereicht, auch wenn er die Sprache nicht verstand.
Am Ende hatten sie ihn sogar mit so etwas wie Respekt behandelt. Zehn Mann waren nötig gewesen, um Konz Jehle zu Boden zu zwingen. Gott sei Dank hatten sie ihre Messer nicht eingesetzt bei diesem Kampf.
Er wusste nicht, was er dem Mädchen antworten sollte. Er hatte nichts, was er ihr geben konnte. Sein Magen knurrte bereits seit drei Tagen. Den letzten Kanten
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