Zeit des Lavendels (German Edition)
da unnützer Tand. »Lasst mich, mein Burgfräulein, man erwartet mich, hofft auf den Degen in meiner harten Faust, um auch dem letzten Heiden den Kopf abzuhauen«, erklärte er.
Doch das Burgfräulein Anna sah das durchaus nicht ein. »Anna auch abhauen«, krähte sie energisch, um ihre wilde Entschlossenheit kundzutun. Aber Ritter Thomas, auch wenn er sonst seiner Schwester jeden Wunsch erfüllte, focht das diesmal nicht an. Entschlossen klemmte er sich den Stock zwischen die Beine, rückte den Stockdegen an seinem Gürtel zurecht und trabte laut johlend davon. Wohl um den Heiden von vorneherein Angst einzujagen. Anna stürmte unter Protestgeschrei auf ihren kleinen Beinchen hinterher so schnell sie konnte. Unter diesen Umständen wollte sie kein Burgfräulein mehr sein, sondern lieber ein Knappe.
Katharina hatte alle Mühe, nicht laut herauszulachen. Der sechsjährige Thomas glich eher einem Heuhüpfer oder einem ungelenken Füllen. Na, jedenfalls würde er hungrig sein nach diesen ganzen Mühen.
Das erinnerte sie daran, dass es schon fast Mittagszeit war. Sie lief zu ihrer kleinen Tochter hinüber. Ritter Thomas war derzeit verloren für Frauenangelegenheiten. Aber Anna sollte ihr jetzt besser helfen, Holz für ein kleines Feuer zu sammeln. Die Brotstücke in ihrem Beutel warteten darauf, in der Glut gebacken zu werden. Anna ließ sich nur widerwillig überzeugen — ein Knappe zu sein gefiel ihr viel besser. Doch Katharina schnappte sich die Hand der Kleinen und ließ ihr keine Wahl. Beim gemeinsamen Holzsammeln vergaß Anna dann schnell die Unbilden des Schicksals. Zu viel war unter den Bäumen zu entdecken. Zum Beispiel leckere, blaue Waldbeeren und kleine, rote Walderdbeeren. So hatte sie nach einer Viertelstunde zwar einen verschmierten Mund, aber kein Stöckchen Holz gesammelt — im Gegensatz zu ihrer Mutter, die inzwischen einen dicken Arm voll gefunden hatte.
Die Äste und Zweige waren trocken. Schnell flackerte auf der Burgmatte ein kleines Feuer. Der Duft des gerösteten Brotes lockte schließlich auch Ritter Thomas herbei. Liebevoll betrachtete Katharina ihre Kinder. Irgendwann würde sie ihnen erzählen, was es mit diesem Ort auf sich hatte. Es war lange her, dass sie sich so wohl, so eins mit sich selbst gefühlt hatte. Sie spürte, wie die Geister der Vergangenheit lächelten.
Dann war es Zeit zum Aufbruch. Sie seufzte. Doch sie würden wiederkommen.
Es war schon lange dunkel, als Katharina mit den Kindern in Seggingen ankam, eingeklemmt zwischen den Mehlsäcken, die der Fronmüller Simon Hammerschmied mit seinem Ochsenkarren ins Stift transportierte. Thomas und Anna schliefen selig. Das Gerüttel des Karrens störte sie nicht im Mindesten. Hin und wieder warf Katharina einen Blick auf das Bündel neben sich. Es waren die Habseligkeiten von Konz, die sie in aller Eile aus der Bannwarthütte geräumt hatte. Der Sohn des Gehenkten hatte nicht viel zurückgelassen. Ein altes Paar Schuhe, ein zerschlissenes Hemd, eine Kappe, ein stumpfes Messer — und diese Gegenstände weckten in Katharinas Herz erneut die bittersüße Sehnsucht nach ihrem Mann.
Katharina fühlte sich an längst vergangene Tage erinnert, als ihr Lehrschwester Mechthild bei der Ankunft mit der bekannten, wilden Entschlossenheit im Blick entgegenkam. Liebevoll glitt ihr Blick über die vertraute, im Dienst des Stiftes ergraute und inzwischen gekrümmte Gestalt. »Gott sei Dank, dass du endlich da bist. Die Äbtissin hat furchtbare Zahnschmerzen. Sie weiß, dass du dich aufs Heilen verstehst. Schnell, komm, ich kümmere mich um die Kleinen.« Katharina hatte gar keine andere Wahl, als zur Residenz der Fürstin gegenüber vom Münster zu laufen.
Agatha Hegenzer von Wasserstelz schien tatsächlich ziemlich zu leiden. Das war die zähe Frau nicht gewohnt, das machte sie ungeduldig. »Los, tut etwas«, nuschelte sie durch ihre geschwollene Backe.
Katharina trat ans Bett der Äbtissin. »Lasst mich erst einmal sehen«, forderte sie ebenso knapp.
Die Fürstin riss den Mund auf, so weit es bei der Schwellung möglich war. Katharina begriff schnell, dass sie wirklich starke Schmerzen haben musste. Das Zahnfleisch um den rechten, vorletzten Backenzahn war dick geschwollen und eiterte.
Sie zog am Klingelstrang. Sofort erschien ein junges Mädchen. »Lauft hinüber ins Haus der edlen Magdalena von Hausen und holt mir meine Kräuterlade«, befahl sie. »Und sorgt in der Zwischenzeit für einen Lappen und möglichst kaltes
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