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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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sagte sie. »Bitte entschuldige unser Misstrauen. Das hast du nicht verdient. Katharina, ich möchte dir nicht zu nahe treten. Aber eines wollte ich dir doch einmal sagen.« Plötzlich wurde die sonst so unbefangene Genoveva verlegen. »Wir alle lieben dich hier. Du bist für mich nicht wie eine Hausbedienstete, sondern eher wie meine kleine Schwester. Vielleicht ein bisschen auch wie eine große Tochter. Ich schäme mich für unser Verhalten. Bitte verzeih mir.«
    Mit großen Augen sah Katharina die ein Stückchen größere Genoveva an. Sie konnte es nicht verhindern, plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen. Und diese Tränen spülten ein kleines Stück jener Mauer hinweg, die sich über so viele Jahre hindurch und durch so viele Demütigungen gebildet hatte. Sie hatte Angst vor diesen Gefühlen, die auf sie einstürmten, Angst davor, Menschen zu vertrauen.
    Genoveva war ganz erschrocken, als sie Katharinas Reaktion auf ihre Worte sah. Sie wusste nicht, was hinter dieser Stirn vor sich ging. Doch sie konnte die Trauer, den Zorn, die Wut und die Angst Katharinas fast körperlich spüren. Aber sie wusste auch, sie durfte das alles jetzt nicht ansprechen. Sie musste dem Mädchen irgendwie helfen, ihre Haltung zu bewahren. Fast unbeholfen streichelte sie Katharina kurz über die Wange. »Komm, lass uns das Essen fertig machen«, sagte sie nur.
    Katharina sah sie dankbar an und ging in den Keller, um Käse und Wein zu holen. Genoveva holte die Holzteller von dem Brett neben der Anrichte. Ihr Blick streifte noch einmal nachdenklich den Rücken Katharinas. Dann wandte auch sie sich ab und trug die Teller, die Becher und die Messer in die Stube. Hinter der Türe hörte sie die gedämpfte Stimme des Gastes und als Antwort das Lachen ihres Mannes. Wärme durchfloss sie bei diesem Lachen. Doch darunter mischte sich ein unerklärliches Gefühl der Angst. Es glich der Schwüle vor einem drohenden Unwetter. Sie schüttelte diese Empfindung ab. Das war dumm. Als praktische Frau beschäftigte sie sich mit Problemen, wenn sie kamen. Sie neigte nicht zu derartigen Phantasien. Doch das Echo dieses Gefühls klang noch lange in ihr nach. Arme kleine Katharina, dachte sie. Dann erschien das Lächeln wieder auf ihrem Gesicht, und sie öffnete die Stubentüre.

6
    W enn ich heute an die Monate in Basel zurückdenke, trägt jeder Tag nur ein Gesicht. Das von Thomas Leimer. Der schmale Mund, das eckige Kinn, die markante Nase. Thomas Rischacher hat einmal lachend gesagt, Lei-mers Nase sei die eines Griechen, sein Mund der eines Römers und seine Augen seien die eines Wikingers. Damit sagte er mehr über diesen Mann aus, als er wohl damals ahnte. Er vergaß nur eines: das Herz eines Lügners. Thomas Leimer hatte eine fast magische Anziehungskraft auf mich. Jeden Tag beschäftigte er meine Gedanken. Und noch Wochen nach dieser ersten Begegnung zitterten meine Knie, wenn ich an seinen Besuch dachte. Jede Sekunde dieser Begegnung tauchte abends, wenn ich im Bett lag, immer wieder vor meinem inneren Auge auf. Ich schämte mich furchtbar für meine Unbeholfenheit und Stummheit. Für die Röte, die mir immer wieder ins Gesicht geschossen war. Keiner, weder Thomas Rischacher noch Genoveva, hatten den Besuch wieder erwähnt. Auch nichts darüber gesagt, wie ich mich benommen hatte.
    Wenn ich an ihn dachte, gestaltete ich jedes Mal diese Begegnung neu, spielte sie in allen Varianten in meinem Kopf durch. Mal war ich die geheimnisvolle Katharina, dann die verlockende, dann wieder die kluge. Ich wusste zwar nicht, wie das ging — verlockend zu sein. Oder klug. Oder geheimnisvoll. Doch immer war in meinen Tagträumen Thomas Leimer fasziniert von mir. Mir rettungslos verfallen. Über diesen Punkt hinaus gingen meine Träume nie. Ich wusste noch nichts vom Land der körperlichen Liebe, von der Wüste der Sehnsucht und dem schwarzen Loch der Verzweiflung, dieser tödlichen Müdigkeit. Aber ich wusste eines ... Dieser Mann war Diakon — und unerreichbar für mich. Das waren die Abende, als ich in aller noch kindlichen Unschuld und Naivität langsam erwachsen wurde, immer begleitet von diesem Gefühl in meinem Bauch, das ich nicht deuten konnte.
    Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Ein Haushalt mit vier kleinen Kindern macht viel Arbeit. Genoveva war niemals untätig. Zusammen buken wir Brot, salzten das Fleisch für die Räucherkammer, pflückten die Äpfel und Birnen von den Bäumen im kleinen Garten vor dem Haus, pflanzten und ernteten

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