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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Gurken, Salat, Erbsen, Bohnen, Rüben und den Weißkohl, aus dem wir dann in großen Holzfässern das Sauerkraut stampften, das Thomas Risc hacher so liebte. Doch an all das erinnere ich mich nur wie durch einen Schleier. Die Bilder bleiben unscharf. Scharf ist nur das Gesicht von Thomas Leimer.
    Dabei habe ich viel gelernt in dieser Zeit. Genoveva machte wahr, was sie gesagt hatte. Sie wurde für mich zur großen Schwester, manchmal gar zur Mutter, die mir das Leben erklärte. Sie war eine kluge Frau — konnte rechnen, lesen, sogar etwas Latein. Ihrem Mann war sie bei der Führung der Bücher eine unschätzbare Hilfe. Denn die Feder lag nicht gut in Thomas Rischachers sehnigen, schwieligen Tischmacherhänden. Sie erzählte mir von ihrer Kindheit auf dem Familiensitz der von Hausens. Und wie ihre Eltern so früh gestorben waren, erst der Vater, anderthalb Jahre später die Mutter. Danach hatte ihr großer Bruder Sixtus die beiden elternlosen kleinen Mädchen Magdalena und Genoveva ins Stift Seggingen gebracht. Es war ihm nicht leicht gefallen, die Mitgift zusammenzubekommen. Denn die von Hausens waren nicht reich. Später, als mit den Schwestern alles geregelt war, hatte sich der Sechzehnjährige dem Dienst der Kirche verschrieben.
    Magdalena war damals zwölf Jahre alt gewesen. Genoveva zehn. Im Stift hatten beide eine neue Heimat gefunden — aber wenig Liebe, dafür viele Gebete. Denn Anna von Falkenstein und später auch Kunigunde von Hohengeroldseck nahmen den Dienst an Gott ernst, kamen den unzähligen täglichen Verpflichtungen zum Gebet im Münster strikt nach. Das verlangten sie aber auch von den anderen Stiftsdamen, den Chorherren und natürlich auch den beiden kleinen Mädchen. Magdalena hatte in dieser Zeit die Liebe im Gedanken an Gott gefunden. Genoveva von Hausen war am Ende die praktische, warme Zuneigung und der Schutz Thomas Rischachers wichtiger geworden.
    Genoveva brachte mir alles bei, was sie wusste. Das galt natürlich für alle Bereiche des Hauses. Wie man den Teig für Brot und manchmal auch Kuchen richtig ansetzte, welche Kräuter das Essen schmackhaft machen, welche heilen. Wie man kranke Kinder tröstet, wie man kaputte Hosen stopft oder alte Männerkleider in Kinderjacken, -hosen oder hemden umnäht. Sie lehrte mich Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie erzählte mir von den Bewegungen der Gestirne, wie sie Koper nikus errechnet hatte, von Kolumbus, der losgesegelt war, eine neue Welt zu entdecken, von Dürer und seinen Werken. Sie berichtete vom strengen Kaiser Karl V., den alle nur den Spanier nannten. Und von seinem liebenswerten, aber wankelmütigen Bruder und Statthalter Ferdinand, dem Regenten der Vorlande. Sie hatte als Mädchen die Rebellion der Bauern und die Macht des Bundschuh noch miterlebt, die Besetzung des Stiftes Seggingen durch die Bürger der eigenen Stadt. Hatte Balthasar Hubmaier und Eberhard von Günzburg predigen hören. Hatte den Bauernführer Konz Jehle gekannt und geweint, als er gehenkt wurde. Sie hatte sie gesehen, all die Menschen, die zurückkehrten an ihre Arbeit, das Feuer der Hoffnung in den Augen erloschen. Sofern sie noch welche hatten. Manche kamen ohne Hände zurück, manche krochen und zogen die Stümpfe ihrer Beine hinter sich her.
    Doch die unter den Aufständischen, die heimkamen, waren wenigstens noch am Leben. Unter den Toten war der Mann der alten Nele. Und ihr Sohn. Trotzdem hatte sie geholfen, wo sie nur konnte. Hatte Wunden verbunden, Eiter ausgewaschen und getröstet. Magdalena und Genoveva waren ihr dabei zur Hand gegangen, sooft sie sich heimlich aus dem Stift schleichen konnten. Daher rührte diese alte Freundschaft der bei den Frauen mit Nele, der Hexe. Damals noch Nele, die Heilerin.
    Und aus dieser Zeit rührte auch die Überzeugung Genove vas, dass nicht recht war, was damals geschah. Satte Priester, die mit ihren Dirnen promenierten, ein Kaiser, der sich um alles Mögliche kümmerte, aber nicht um die Nöte der Menschen, der sie brutal durch seinen Bruder niederknüppeln ließ, als sie rebellierten, als die Thesen des Martin Luther die Runde machten. Erst geflüstert und dann immer lauter. Das Kind Genoveva hatte das zunächst nicht interessiert. Sie wusch Wunden und weinte mit den Frauen und Kindern. Doch nach und nach lernte sie die Zeichen der neuen Zeit erkennen, die so brutal unterdrückt wurden, die im Blut der Menschen ertranken. Doch sie war fest davon überzeugt: Diese neue Zeit würde sich wieder regen, wieder wachsen und

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