Zeit des Lavendels (German Edition)
muss das in meinen Augen gesehen haben, als sie mit einem weiteren Korb voll Wäsche in den Garten kam. Leimer sah uns zu, wie wir die gewaschenen Leintücher in der Sonne ausbreiteten, um sie zu bleichen. Er lachte mit uns, als Genoveva ihren Zweitjüngsten wegscheuchte, der drauf und dran war mit der Begeisterung eines Kindes, das die Welt entdeckt, mit seinen schmutzigen kleinen Bubenfüßchen auf ihre sauberen Tücher zu treten. Sie sagte nichts. Aber ich spürte ihren besorgten Blick auf mir ruhen. Erst viel später nahm sie mich zur Seite und erklärte mir, nicht alle Männer seien so zuverlässig wie Thomas Rischacher. Sie nannte Thomas Leimer einen geborenen Frauenjäger. Er könne nicht anders, obwohl er sein Leben Gott geweiht habe.
Doch da war es schon zu spät. Da war ich diesem Gefühl schon völlig erlegen, das er mir vermittelte und das ich inzwischen brauchte wie Rischachers Freund Matthias den Wein und das Bier. Das Gefühl, eine wunderschöne Frau zu sein. Das Gefühl von Macht über das Herz eines Mannes. Ich wusste zu wenig, um zu erkennen, dass ich die Hörige war. Und so gab ich nichts auf ihre Worte und fuhr fort mit meinen abendlichen, geheimen Träumen von Thomas Leimer.
Noch heute, viele Jahre und ein Leben später, frage ich mich immer wieder, wie ich dem hätte entkommen können, was so viel Leid über so viele Menschen brachte. Vielleicht muss ich die Frage anders stellen. Würde ich mich heute noch einmal so verhalten wie damals? Ich komme immer wieder zur selben Antwort, wenn ich ehrlich zu mir bin. Dieser Mann hat mit Gottes Zunge den Tod und das Leid in mein Leben und das vieler anderer gebracht. Und trotzdem, obwohl ich dies heute weiß, würde ich wieder tun, was ich tat. Ich habe große Schuld auf meine Seele geladen, alles verraten, was mir jemals teuer war und an das ich glaubte. Auch mich selbst. Ich konnte nicht anders. Trotzdem ist durch nichts zu entschuldigen und durch nichts wieder gutzumachen, was ich tat. Ich kann nur auf die Gnade des Herrn hoffen. Doch ich glaube, er wird dereinst ein mindestens so strenger Richter über mich sein, wie ich es bin.
Damals kam es, wie es kommen musste. Thomas Leimer tauchte wieder einmal unangekündigt im Hause auf. Ich war gerade dabei, ein Brot zu backen, und hatte die Hände voller Teig. Diesmal war Meister Rischacher aber nicht bei ihm. Er war schonfrüh am Morgen aus dem Haus gegangen. Und Frau Genoveva war bei der Nachbarin, um ihr zu helfen, ihr krankes Mädchen zu pflegen. Die Kleine lag schon seit Tagen mit hohem Fieber im Bett. So war die Sorge um den Haushalt und die vier Kleinen mir übertragen. Die drei größeren Buben, Thomas, Gotthilf und Markus, konnte ich vor dem Haus toben hören. Sie spielten mit einem Freund Himmel und Hölle. Der kleine Huldreich schlief friedlich in der Stube. Er war eigentlich schon eine ganze Weile aus seinem Babybettchen herausgewachsen. Doch Meister Rischacher war noch nicht dazu gekommen, ein Bett für seinen Jüngsten zu zimmern. Er schlief noch mit seinem älteren Bruder Markus in einem Bett. Und für seinen täglichen Mittagsschlaf wurde noch immer die kleine Wiege benutzt.
Durch die offene Stubentüre konnte ich hören, wenn er aufwachte und sich regte. Doch noch schlief er friedlich, den Daumen in seinen kleinen, rosigen Mund gesteckt. Mit der anderen Hand hielt er fest das Tuch, dessen Zipfel ich in Honig getaucht hatte, um seinen lautstarken Protest zu versüßen, den er jedes Mal anstimmte, wenn er seinen Mittagsschlaf machen sollte. Allmählich war er mithilfe des Honigs eingeschlafen. Nun wollte ich die Zeit nutzen, um schnell den Brotteig zu kneten, damit der Laib in den Ofen konnte, wenn Genoveva heimkam.
Ich hörte Thomas Leimer nicht kommen. Es war wieder Sommer geworden. Der August des Jahres 1545, jenes Jahres, in dem Papst Paul III. das Konzil von Trient einberufen hatte, das die Kirche erneuern sollte. Und ich lauschte beim Kneten des Brotteiges dem Gezänk der Vögel draußen in den Zweigen des Birnbaumes vor dem Küchenfenster. Ich spürte nur zwei Arme, die mich von hinten umfassten, und mir blieb fast die Luft weg von diesem ganz bestimmten Geruch, den er ausströmte. Ich erkannte ihn sofort: Schweiß, vermischt mit einem leichten Hauch von Weihrauch, der seiner dunklen, strengen Kleidung entströmte.
Er sagte nichts, begann einfach, meinen Rücken zu streicheln, bis hinunter zu meinen Pobacken. Ich kam überhaupt nicht auf die Idee, mich zu wehren. Die Hände noch
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