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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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gedeihen auf dem mit Blut gedüngten Boden.
    So war sie zur Ketzerin geworden. Zusammen mit ihrer Schwester, deren teuerster Besitz eine Bibel war, geschrieben in einer Sprache, die auch das Volk verstand. Eines der ersten Bücher, das die neue Buchdruckerkunst hervorgebracht hatte. Es war sorgsam versteckt im Geheimfach von Magdalenas Sekretär — eine Gutenberg-Bibel in der Übersetzung von Martin Luther. Und daneben lag das Konstanzer Gesangbuch, herausgebracht von Johannes Zwick und Ambrosius Blarer im Jahre 1540. Genoveva sang mir oft ihr Lieblingslied vor. Johannes Zwick hatte es geschrieben. »Neujahrslied« hieß es und kündete wie das neue Jahr von einer neuen Zeit, einem neuen Anfang:
     
    Das wünschend wir von hertzen all,
    zusyn ein volck, das Gott gefall.
    Ein ehrliches volck, ein heilige Statt
    Die sach uff Gott gantz styff und satt.
    Alleluia. Es sy mit uns sin Göttlich hand
    Die uns behüt und beschirm vor aller Schand.
     
    Noch heute, so viele Jahre später, höre ich die Begeisterung in ihrer klaren Stimme.
    Und Genoveva brachte mir bei, mich zu benehmen, fast wie eine richtige Dame, Gespräche zuführen, mit Gästen zu scherzen. Sie lehrte mich auf die Zeichen zu achten, wenn die Männer allein sein wollten, um sich ihren Geschäften zu widmen, und sich dann still zurückzuziehen. Sie lehrte mich, dass eine kluge Frau ihren Mann niemals kritisiert, ihm in allem folgt und ihn nie mit den Sorgen der Frauen belästigt. So würde er ihr alles anvertrauen, sie zurate ziehen, seine Gedanken und sein Herz für sie öffnen. »Das Herz und das Vertrauen eines guten, aufrechten Mannes ist in dieser unsicheren Zeit der beste Schutz für eine Frau«, sagte sie einmal.
    Ich dachte dabei an Thomas Leimer, den Mann, den ich niemals haben konnte. Denn von den Lügen, der Feigheit und der Heuchelei mancher Männer sprach sie nicht.
    Es dauerte mehr als vier Monate, bis ich Thomas Leimer wieder sah. Wie schon beim ersten Mal tauchte er plötzlich in der Küche auf in Begleitung von Thomas Rischacher. Genoveva begrüßte ihn fast wie einen alten Freund. Ich stand wieder dabei, stumm wie ein Fisch. Die Röte schoss mir bei jedem Wort, das er an mich richtete, ins Gesicht. Es waren, dem Himmel sei's gedankt, nicht viele. Dafür musterte er mich um-so eindringlicher. Und wieder gab er mir das Gefühl, etwas Besonders zu sein. Das machte mich noch verlegener, als ich es ohnehin schon war.
    Diesmal durfte ich mit in die Stube. Heinrich Bullinger, der Reformator, hatte aus Zürich wieder einen Brief geschickt und ihn Leimer mitgegeben. Längst sprachen die Rischachers frei vor mir von ihren Überzeugungen. Diesmal sollte ich mit dabei sein, wenn Genoveva den Brief Bullingers vorlas. Denn ihr Mami hatte doch ziemlich mit den Buchstaben zu kämpfen. Aber sie machte das auf eine so unbefangene Art, dass er ihr diese Überlegenheit nie übel nehmen konnte. Ich beneidete sie glühend um ihr Geschick, so scheinbar ungezwungen mit den Menschen umzugehen. Doch ich kannte ihr praktisches Wesen zu genau, um nicht zu wissen, wie gezielt sie handelte, wie genau sie wusste, was sie tat.
    Ich wusste nichts. Ich saß mit am Tisch, blickte auf meine Hände und hatte die ganze Zeit nur Thomas Leimers Gesicht vor Augen, spürte seinen Blick, der immer wieder auf mir ruhte. Ich weiß nicht mehr, was in Bullingers Brief stand. Ich weiß überhaupt nichts mehr. Ich erinnere mich nur an den Zorn über mich selbst, dass ich mich schon wieder so dumm und kindisch benahm, an das Zittern meiner Knie und an das eigenartige Gefühl in meinem Bauch, als Thomas Leimers Fuß den meinen einmal wie unabsichtlich streifte. Heute kenne ich ihn besser. Viel besser. Und ich weiß, dass es keineswegs unabsichtlich war. Thomas Leimer kannte die Frauen. Es war so leicht für ihn, mich zu verführen.
    Danach kam er noch oft. Hin und wieder traf er mich auch allein an. Ich erinnere mich noch gut an eine Szene: Er kam, als ich gerade draußen die Wäsche auf die Leine hängte, mit rot verschwitzem Gesicht und rissigen Händen von der Lauge. Es war mir peinlich, dass er mich so sah. Doch nach und nach verlor ich meine Scheu vor ihm. Er hatte die Gabe, selbst die alltäglichsten, die kleinsten Dinge zu einem Abenteuer werden zu lassen. Sogar zu meinem roten Gesicht und meinen rissigen Händen hatte er noch etwas Schmeichelhaftes zu sagen. Doch allein sein Blick hätte schon ausgereicht, um mich schöner werden zu lassen.
    Ich war ihm völlig verfallen. Genoveva

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