Zeit des Lavendels (German Edition)
Konz möglich, wenigstens an manchen Abenden bei seiner Frau und dem Jungen zu sein, den er schon längst als seinen Sohn betrachtete. Wenn es zu spät wurde, verbrachte er die Nacht in der Bannwartschuppose, einem kleinen Schuppen in der Nähe des Kellerhauses. Jeden Morgen, lange bevor die Dämmerung hereinbrach, war er schon aufgesessen und unterwegs nach Murg. Und wenn er abends zurückkam, war die Sonne meist schon untergegangen.
Die junge Familie wohnte inzwischen auch nicht mehr im Alten Hof, der Unterkunft der Stiftsdamen. Magdalena von Hausen hatte den Jungvermählten ein Haus an der südlichen Stadtmauer besorgt, nur einige Meter westlich der langen, gedeckten Holzbrücke, über die Katharina einst gelaufen war, um Bekanntschaft mit Seconia zu machen, der Herrin und Beschützerin der heilenden Wasser. Auch im Haus gab es immer viel zu tun, zumal noch drei Hennen, ein Hahn, das Pferd und eine Ziege zu seinen Bewohnern gehörte.
Neben all dem ging Katharina bei der alten Nele in die Lehre. In der Dämmerung tauchte sie oft in der Hütte auf und lernte begierig alles über die Wirksamkeit der Kräuter. Sie erfuhr vom Seelenkraut Melisse, von der Heilkraft des Salbei oder wie Thymiantee Husten vertreiben kann. Sie lernte Zwiebel- und Rettichsud zubereiten, wenn die Lungen den Schleim nicht hochhusten konnten. Sie wusste schließlich auch, wie sie mit dem gefährlichen Bilsenkraut umgehen musste, das seltsame Träume verursachen konnte, wenn man es nicht richtig anwandte. Aber es war das beste Schmerzmittel, das Nele kannte. Sie erfuhr von der lindernden Wirkung des Wassers der Seconia, von dem Wunder, das kalte Wickel um die Waden bei Fieber und warme um den Bauch bei schlechten Winden bewirken konnten. Sie lernte aus Schweinefett und Schafgarbe blutstillende Salben herzustellen. Nach einer Weile brachte Nele ihr bei, was eine Frau tun kann, wenn sie nicht empfangen will, was sie tun kann, wenn das Kind nicht zur Welt kommen soll. Immer wieder warnte Nele Katharina jedoch davor, diese bestimmten Kräuter nach der 16. Woche anzuwenden. Sie hatte zu viele Frauen daran sterben sehen. Nele zeigte ihr aber auch, was zu tun war, wenn eine Frau Gefahr lief, ihr Kind zu verlieren. »Weißt du«, pflegte sie dann oft trocken anzufügen, »wenn ein Bauer Schwierigkeiten mit seiner kalbenden Kuh hat, dann mach es einfach wie bei einer Frau. Du musst halt mehr davon nehmen.« Die Vorstellung fand Katharina anfangs sehr komisch. Immer wieder musste sie jedoch feststellen, wie Recht die alte Nele mit ihrem Wissen hatte.
Doch Nele wurde immer unbeweglicher und langsamer. Mit ihren verknöcherten Händen konnte sie nicht mehr richtig die genaue Menge der Pülverchen und Tinkturen abmessen, die sie verwendete. Dabei war es doch so wichtig, sich genau an die Rezepte zu halten, wie sie Katharina immer und immer wieder einbläute. Die Gicht wütete böse in ihren Knochen. Mit der Zeit lernte Katharina auch, wie sie Nele dabei etwas Linderung verschaffen konnte, mit Bilsenkraut, kühlenden Salben und sanften Massagen. Viel mehr gab es nicht, um Nele zu helfen. Katharina erfuhr, wo Kamille, Schafgarbe und Bärlauch wuchsen, wie und wann man die Kräuter sammelte, wie sie getrocknet wurden und aufbewahrt. Sie kannte die heilsame Wirkung des Gifts der Tollkirsche, die anregende Wirkung des Johanniskrautes. Sie begleitete die alte Nele bei ihren Besuchen bei kranken Menschen oder Tieren und wurde schließlich immer öfter auch selbst geholt. Katharina verlangte nie etwas für solche Dienste. Dennoch kam dadurch so manches Ei, auch Milch, manchmal sogar ein Huhn ins Haus. Das Gemüse für die Familie baute sie auf einem kleinen Stück Land im Westen der Stadtmauer jenseits der Zugbrücke über den Gießen an, das ihr Magdalena von Hausen überlassen hatte. So kam die kleine Familie ganz gut über die Runden.
Doch die Gerüchte um das Niemandskind Katharina wollten nicht verstummen. Besonders, als der kleine Thomas größer und es immer offensichtlicher wurde, dass er unmöglich der Sohn des dunklen Konz Jehle sein konnte. Doch offen sagte niemand etwas. Die körperliche Kraft und der urplötzlich aufwallende Zorn des Jehle waren allen Lästermäulern wohl bekannt. Wenn Konz Jehle einmal zornig wurde — was sehr selten geschah — dann war es besser, ihm nicht über den Weg zu laufen, geschweige denn der Grund für diesen Zorn zu sein. Denn dann war ihm niemand mehr gewachsen. Wie ein Stier konnte er um sich schlagen und alles
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