Zeit des Lavendels (German Edition)
eine Reichsfürstin offenbar Anhängerin der Reformation war. Denn was nicht ausgesprochen wurde, musste niemand wissen. Das war für alle das Beste.
Doch nun hatte sich die Lage geändert. Wieder einmal hatte der Spanier unmissverständlich klargemacht, dass er gedachte, die Reformation in seinem Reich mit Stumpf und Stiel auszurotten. Nun wurden die Menschen vorsichtiger. Und in Katharina wuchs eine seltsame Angst. Sie hätte nicht sagen können, wovor. Es war ein diffuses Gefühl der Bedrohung, das mit jedem Tag stärker wurde. Sie schob es weg, so gut sie konnte. In den Monaten, die kommen sollten, in jener Zeit, als ihre Welt in Scherben ging, wünschte sie sich mehr als einmal, sie hätte auf die Warnungen ihrer inneren Stimme gehört.
8
D ie ganze Stadt summte von den Vorbereitungen auf die Karwoche. Ich wusste nicht mehr, wo mir der Kopf stand.
Denn auch im Stift war viel vorzubereiten und zu helfen. Mein kleiner Thomas machte mir die Sache nicht gerade leichter. Die Vorbereitung des Palmesels für die Karfreitagsprozession war mir übertragen worden, als besondere Auszeichnung durch die Äbtissin.
So ging ich schon Tage vorher in der Morgendämmerung in den Stall, um mit Heubüscheln das graubraune Fell des Tieres möglichst glänzend zu putzen. Daneben wurde ich in der Stiftsküche gebraucht. Die Semmeln und die Oblaten, die am Gründonnerstag im Münster verteilt wurden, mussten gebacken, das Essen für all die Gäste vorbereitet werden, die sich angekündigt hatten. Die ganze Stadt war voller Erwartung, wer denn an diesem Karfreitag von der Kanzel predigen würde. Bislang hatte Magdalena von Hausen noch keinen Namen genannt. Doch es war in Seggingen Brauch, dass zum Fest der Kreuzigung ein Mönch aus dem Barfüßer- und Predigerkloster Basel kam. So war schon so mancher der großen Prediger und Gelehrten der vergangenen Jahrhunderte auf der Kanzel des Münsters gestanden und hatte den Menschen die frohe Botschaft von Gottes eingeborenem Sohn verkündet, der durch seinen Tod und sein Leiden ihre Sünden auf sich nahm.
So strömten auch an diesem Tag die Gotteshausleute von nah und fern zum Stift, dem sie verpflichtet waren. Sie kamen aus allen Besitzungen und Pfründen des Stiftes in die Stadt, um an diesem Ereignis teilzuhaben. Sie kamen auch, um am Karfreitag den fremden Prediger zu hören, der angekündigt worden war. Immer wieder kamen reisende Mönche in die Stadt, um das Wort Gottes zu verkünden. Das war eigentlich nichts Neues. Doch dieser hier sollte etwas Besonderes sein. Niemand kannte seinen Namen. Wohl gerade deshalb waren alle aufgeregt und gespannt.
Der Morgen des Gründonnerstags im Jahre 1548 dämmerte kühl und grau herauf. Ich weiß noch, dass ich damals dachte, dieser Tag entspreche durchaus jenem Ereignis, an das er erinnern sollte. Schon lange bevor die Dämmerung hereingebrochen war, hatte Spichwärter Hans Köhler im Münster den Tisch im Chor gerichtet. Auf einem verzierten Tuch mit goldenen Stickereien stand der Zuber mit Wasser, daneben lagen die acht Semmeln. Vier weitere Semmeln fügte Ursula von Heudorf als Inhaberin des Heilig-Kreuz-Amtes hinzu. Später würden sie und andere Brote gesegnet, mit dem Messer des Heiligen Fridolin geteilt und an die Leute verteilt. Die Äbtissin und Ursula von Heudorf müssten noch den Wein dazu geben. Und so würde an diesem Tag jeder im Münster teilhaftig des Leibes und des Blutes des Herrn.
Genau in diesem Moment sah ich ihn. Ich weiß noch wie heute, dass ich mich zu meinem kleinen Sohn hinuntergebeugt hatte, der unruhig geworden war. Er verstand mit seinen knapp zwei Jahren noch nicht, was hier vor sich ging. Anfangs hatten ihn die schönen Gewänder, die Gesänge, das Spiel der Orgel und der Duft des Weihrauches besänftigt. Doch das Verteilen des Brotes wurde ihm langsam langweilig, und er begann zu quengeln. Ich beugte mich also zu ihm. Als ich mich wieder aufrichtete, seine kleine Hand in meiner, da blickte ich direkt in die Augen von Thomas Leimer. Einen Moment lang dachte ich, ich müsste sterben.
Ich saß mit meinem Sohn auf einer der hinteren Kirchenbänke, wie es sich für mich geziemte. Konz hatte einige Reihen weiter vorne bei den Männern Platz genommen. Und da lehnte er direkt neben mir an einer Säule und schaute mir mit seinem blauen Blick direkt in die Seele. Wieder betrachtete er mich, als sei ich die einzige Frau auf der ganzen Welt, mit jener Mischung aus Zuneigung und dem spitzbübischen Grinsen eines kleinen
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