Zeit des Lavendels (German Edition)
Äbtissin einmal. Für Katharina war das wie ein Adelsschlag. Sie klammerte sich an ihre Arbeit, war unermüdlich, schlief nur wenig. Sie wollte die Zeit der Träume möglichst vermeiden, um nicht wieder an ihn denken zu müssen. Den Mann, von dem sie seit fast vier Monaten nichts gehört hatte. Keine Nachricht, kein Wort. Auch Genoveva und Rischacher hatten in ihren Briefen nichts von Thomas Leimer geschrieben. Wie eine Ertrinkende stürzte sich Katharina in die Arbeit, um nur ja nicht nachdenken zu müssen.
Es waren eigentlich friedliche Tage. Es hätten sogar Glückliche sein können, wäre da nicht der immer bohrende Schmerz in ihrem Inneren gewesen. Stück für Stück versuchte sie, ihren inneren Frieden wiederzugewinnen. Auch Magdalena von Hausen schien glücklich zu sein. Trotz der vielen Arbeit lachten die beiden Frauen viel miteinander. Magdalenas Lachen kam von Herzen. Katharina hatte das Gefühl, als würde ihr Herz Stück für Stück absterben.
Dann, eines Tages, brach sie im Schreibzimmer der Residenz der Äbtissin zusammen. Magdalena von Hausen ließ die ohnmächtige Katharina sofort in ihr Zimmer bringen und schickte nach der alten Nele. Eine innere Stimme warnte sie davor, den Bader zu holen. Nele nahm Katharina mit zu sich.
In der Hütte der alten Nele sah es noch aus wie vor einem Jahr. Im Raum hing kaum wahrnehmbar der Duft von Lavendel, kündete von vergangenen, sonnigen und unbeschwerten Tagen. Katharina ging es sofort ein wenig besser. Die Last, die ihr fast den Atem zu nehmen drohte, wurde unmerklich leichter. Durch die Ritzen der Holzbretter, aus denen die Hütte gezimmert worden war, drang das Licht eines kalten Februarmorgens. Katharina zitterte trotz des Feuers, das in der immer noch sorgsam sauber gehaltenen kleinen Feuerstelle flackerte. Es hatte geschneit in der Nacht davor. Die Wärme der Flammen drang nicht bis in ihre Knochen. Die alte Nele, in warme Decken gehüllt, die ihr die Äbtissin erst vor einigen Tagen hatte zukommen lassen, versuchte das schluchzende Mädchen zu beruhigen. »Warum bist du nicht früher gekommen? Dann hätte ich noch etwas tun können. Nun kann ich dir nicht mehr helfen, ohne dein eigenes Leben zu gefährden.«
Katharina schluchzte auf. »Aber ich habe es doch nicht gemerkt. Mir hat niemand jemals gesagt, was es bedeutet, wenn einem morgens schlecht wird oder die Adern in den Brüsten schwellen.«
»Was glaubst du denn, was passiert, wenn du dich einem Mann gibst? Glaubst du denn, das ist bei den Menschen anders als bei den Tieren? Willst du mir sagen, wer der Vater ist?«
Katharina schüttelte den Kopf. »Du kennst ihn nicht. Und es ist ohnehin egal. Er schert sich nicht um mich. Hat in den ganzen langen Wochen nichts von sich hören lassen.« Sie wusste eigentlich selbst nicht genau, warum sie ihres und Thomas Leimers Geheimnis noch immer schützte. Aber sie konnte ihn nicht verraten. Sie konnte es einfach nicht.
Nele nickte. Dann sah sie Katharina scharf an. »Wenn das so ist, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Das Balg braucht einen Vater. Erspar ihm, was dir geschehen ist. Du hast Glück gehabt, dass die Äbtissin dich unter ihren Schutz genommen hat. Ohne sie wärst du jetzt heimatlos und vogelfrei, leichte Beute für jeden Beliebigen, der dir Gewalt antun will. Und es würde dir keiner helfen, auch kein noch so gewogener Richter. Menschen ohne Herkunft haben auch keine Heimat. Für Leute wie dich gibt es kein Recht. Also, das Balg braucht einen Vater. Weißt du einen, der dich nehmen würde?«
Katharina schüttelte den Kopf.
»Hast du schon mit der Äbtissin gesprochen?«
Wieder ein stummes Kopfschütteln.
»Gut, dann gehen wir jetzt zu ihr.« Nele warf die oberste Decke ab, wickelte die zweite noch ein wenig enger um ihren dürren, gebeugten Leib und stapfte los. Sie kümmerte sich nicht darum, ob Katharina ihr folgte oder nicht. Sie hätte das Mädchen erwürgen können, so zornig war sie auf sie. Da hatte sie alle Möglichkeiten eines Glückskindes, so viele, dass die Leute schon misstrauisch wurden. Und dann ließ sie sich wie eine Hündin von irgendeinem geilen Bock ein Kind machen. Warum wurden die Frauen denn niemals schlau? Warum meinten alle, das Glück liege nur in der Liebe eines Kerls?
Nele schüttelte noch einmal den Kopf und brummte vor sich hin. Als sie die stumme Katharina neben sich sah, der die Tränen übers Gesicht liefen, wurde ihr Blick weicher. Nun würde eben auch diese den Weg aller Frauen gehen und das Beste
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