Zeit des Lavendels (German Edition)
Zum ersten Mal seit fast zwei Wochen konnte sie wieder richtig schlafen. Konz saß noch eine ganze Weile am Feuer und schaute abwechselnd von der einen zum anderen. Von seiner Frau zu seinem Sohn.
Es dauerte noch zwei weitere Wochen, bis endlich Nachricht von der Regierung aus Ensisheim kam. Trotz des bangen Wartens waren diese Tage in gewisser Weise eine Zeit der Freude.
Denn Magdalena von Hausen hatte zum Leben zurückgefunden. Katharina erfuhr nie, was in jener Nacht zwischen den beiden Schwestern vorgegangen war. Am nächsten Morgen hatte die Fürstin jedenfalls wieder zu essen begonnen. Ganz langsam, erst eine Suppe, dann ein Ei, dann eine gebratene Forelle. Vieles davon kam aus der Stiftsküche — sehr zum Ärger des Koches der Schönauer. Am Ende kam es noch soweit, dass die beiden Küchenmeister miteinander wetteiferten, welche der Köstlichkeiten, die aus dem Schönauer'schen Haus oder die aus dem Stift, Magdalena von Hausen zu sich nehmen würde. Jeder versuchte, den anderen zu übertreffen, um der kranken Frau möglichst die besten Leckereien vorzusetzen. Auf diese Weise kamen die Menschen, die vor dem Schlosstor und auf dem Hof Wacht für die Äbtissin hielten, unversehens in den Genuss von Leckereien, die sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gekostet hatten. Das sprach sich natürlich herum. Nach und nach wurde die Menge, die zur Freude der Schönauerin schon etwas kleiner geworden war, nun wieder mit jedem Tag größer. Doch sie nahm es hin. Ihr Mann hatte endlich seine mürrische Miene abgelegt. Seit es Magdalena von Hausen etwas besser ging, fühlte er sich nicht mehr ganz so sehr als der Kerkermeister, der er sein musste. Und Genoveva entschied sich, wieder heimzukehren nach Basel. Ihre Schwester hatte sich entschlossen, zu leben.
Es war Mai geworden. Einige schöne Tage hatten dem langen Winter endlich ein Ende bereitet. So manche der Bauern, die tagelang vor dem Schloss ausgeharrt hatten, waren inzwischen auf ihre Felder hinausgegangen, um sie zu bestellen. Da endlich kam der Bote aus Ensisheim. Doch die Nachricht, die er brachte, war nicht gut. Sie holte den Winter in die Herzen zurück. König Ferdinand von Habsburg hatte mit der ganzen Strenge und ganzen Macht seines Hauses und im Namen seines Bruders, Kaiser Karl V., geurteilt. Verurteilt. Er befahl, Magdalena von Hausen in strengen Arrest zu nehmen. Die Leitung des Stiftes Seggingen übertrug er bis zur Klärung der Angelegenheit und der Regelung der Nachfolge dem Großmeier Hans Jakob von Schönau.
Das war zu viel für den Schönauer. Er weigerte sich glattweg, die Fürstin, die einst so vielen Gutes getan hatte, in ein Verlies zu stecken wie eine Verbrecherin. Er war seinem Kaiser in allem ergeben. Doch was zu viel war, das war zu viel, erklärte er seiner Frau. Das, was Ferdinand von ihm wollte, war nicht recht. Und er würde es nicht tun. Magdalena von Hausen würde einfach bleiben, wo sie war. Damit Schluss.
Die Schönauerin versuchte nicht länger, ihren Mann umzustimmen. Sie kannte ihn. Wenn er solche Augen hatte, war sein Entschluss unumstößlich. Aber zu einem bewegte sie ihn doch. Es müsse alles getan werden, um den König umzustimmen. Der Schönauer solle einen Bittbrief für seine Gefangene aufsetzen, in dem er aber um Himmels willen nicht erwähnen dürfe, dass sie nicht im Gefängnis war.
Und was die Leitung des Stiftes anging ... Nach Bekanntwerden des Skandals um die Fürstäbtissin, war Ursula von Heudorf von ihrer Familie schnellstens heimgeholt worden. Sie wollten mit diesen ketzerischen Zuständen nicht in Verbindung gebracht werden. Das hieß: Außer der gefangenen Äbtissin selbst gab es keine gestühlte Frau mehr im Stift. Nur noch ein Kind: Maria Jakobea von Sulzbach war erst im letzten Jahr als Zehnjährige in Seggingen angekommen — und damit nach den Statuten viel zu jung, um als vollwertige Stiftsdame aufgenommen zu werden. An ihre Wahl als Äbtissin war also nicht zu denken.
Zum Kapitel gehörten jetzt neben Magdalena von Hausen, die de facto noch immer die amtierende Äbtissin war, auch wenn sie dieses Amt nicht mehr ausüben konnte, die drei Chorherren Konrad Besserer, Johann Widmeyer und Heinrich Stößel. Besserer war damit der Einzige, der noch übrig geblieben war aus der Zeit, in der Magdalena von Hausen Äbtissin wurde. Der Schönauer kannte den kriecherischen Besserer schon lange. Er traute ihm nicht. So wenig, wie es Magdalena von Hausen tat. Er hatte zu gute Kontakte zum Bischof und zu Murgel.
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