Zeit des Lavendels (German Edition)
vom Laufen völlig außer Atem. Ihre Herrin habe sie geschickt, mich zu holen. Es gehe ihr nicht gut, sie habe von meinen Künsten gehört. Ob ich nicht schnell kommen könne? Was ihrer Herrin fehlte, vermochte sie aber nicht genau zu sagen. So sammelte ich hastig einige der wichtigsten Kräuter zusammen.
Das große Patrizierhaus, zu dem mich das etwa achtjährige, verschüchterte junge Ding führte, war wirklich eine Überraschung für mich. Zu so wohlhabenden Familien war ich noch nie gerufen worden. In Basel gab es einige gute Ärzte. Schließlich hatte einst der große Paracelsus in dieser Stadt gelehrt. Deshalb holten mich normalerweise nur jene, die sich deren Dienste nicht leisten konnten.
Das Mädchen bemerkte mein Erstaunen und beeilte sich zu erklären, das schöne Haus sei schon vor einer ganzen Weile an den Grafen Georg von Württemberg verkauft worden. Für 1000 Gulden, werde gemunkelt. Doch von dem vielen Geld sei inzwischen nichts mehr übrig. Der Graf erlaube ihrer Herrin aus Mitleid, noch hier zu wohnen. Ich war etwas erstaunt über die plötzliche Mitteilsamkeit des Kindes. Doch das erklärte wenigstens, warum ausgerechnet ich gerufen worden war. Das dachte ich zumindest.
Dorothea Offenburg sah man an, dass sie es gewohnt war, über Geld zu verfügen. Sie hotte jene Haltung und jenen Befehlston, den nur Reiche haben können, für die es selbstverständlich ist, dass jede ihrer Anordnungen sofort befolgt wird, ohne dass sie auch nur im Mindesten die Stimme erheben müssen. Ich sah eine stattliche Frau mit dicken Augenbrauen und einem herben, aber nicht hässlichen Gesicht, die sich stöhnend im Bett zusammengekrümmt hatte. Mir war schnell klar, dass ihr nichts Ernsthaftes fehlte. Schlechte Winde hatten sich in ihrem Bauch festgesetzt und verursachten die Schmerzen. Ein leichtes Abführmittel, verbunden mit einem entspannenden Kräutertee und warmen Bauchwickeln, würde ihre Schmerzen schnell lindern. Ich gab ihr ein Fläschchen Pflaumensaft, versetzt mit etwas Wermut, und sorgte dafür, dass aus Fenchel und Kamille ein Tee gekocht wurde. Dreimal täglich ein Becher Saft und jeweils abends eine Tasse Tee verordnete ich ihr. Sicherheitshalber wartete ich noch eine Stunde an ihrem Bett, bis sie sich langsam entspannte. Dann wollte ich gehen, ohne auch nur ein Dankeschön für meine Bemühungen gehört zu haben. Dorothea Offenburg war inzwischen eingeschlafen.
Plötzlich öffnete sich die Türe, und ein Mann trat ins Zimmer. Ich konnte ihn im Dämmerlicht der Kerzen zunächst nicht erkennen. Trotzdem begann etwas in mir zu vibrieren. Mein Körper erkannte ihn schon lange, bevor mein Verstand es tat. Der schwarze Schatten in der Türe kam mir bedrohlich und ungeheuer anziehend zugleich vor. Unwillkürlich erhob ich mich vom Stuhl neben dem Bett meiner Patientin. Der Schatten kam einige Schritte näher. Plötzlich nahmen die verschwommenen Gesichtszüge Konturen an. Die Form dieses Gesichtes, die Kraft dieser Augen durchfuhren mich wie ein Blitz einen Baum am Wegesrand. Ich war wie gelähmt, gleichzeitig begann ich zu zittern wie Espenlaub. Ich brachte gerade noch die Kraft auf, mich an der Lehne meines Stuhles festzuhalten. Es war der Mann, von dem ich gehofft hatte, dass ich ihn niemals wieder sehen würde: Thomas Leimer.
Und er sagte, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt: »Wie schön, dich zu sehen, Katharina. Ich habe gehört, du bist eine berühmte Heilerin geworden. Überall in Basel spricht man von dir. Konntest du meiner Frau helfen?«
Er wandte sich von mir ab und stellte sich ans Bett der schlafenden Dorothea. Eine Weile lang sah er auf sie hinunter. Dann drehte er sich wieder zu mir um. Ein seltsamer Blick lag in seinen Augen. Doch vielleicht war das nur Einbildung, eine Vorspiegelung des Augenblicks und des Flackerns der Kerzen.
Eine Ewigkeit lang war es mir unmöglich, mich zu bewegen. Zumindest schien es mir so. Dann rannte ich wie von Sinnen aus dem Raum, aus dem Haus, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Ich rannte, bis ich beim Haus der Rischac bers war.
Genoveva war noch wach. Sie brauchte nur einen kurzen Blick, um zu erkennen, dass etwas geschehen sein musste. Selbst heute, Jahre später, kann ich nicht genau sagen, was damals in mir vorging. Da war der alte Hass. Da war Verachtung für diesen Mann. In diesem Moment glaubte ich das zumindest. Doch wenn ich genau überlege, dann war da noch immer — und trotz allem, was ich inzwischen über ihn
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