Zeit des Lavendels (German Edition)
dass er aus meinem Leben verschwindet!« Eine wilde Sehnsucht nach meinem Mann keimte in mir. Ich hoffte wohl, seine Zärtlichkeit und Zuneigung könnten mich vor mir selbst retten. Ich wollte nichts als flüchten. Doch wohin hätte ich gehen sollen? Nach Seggingen konnte ich nicht, noch nicht. Die Gerüchte würden sofort wieder aufflackern. Der schlimme Sommer war noch zu frisch in der Erinnerung, und ein harter Winter stand den Menschen bevor. In einer solchen Situation wären sie nur allzu willig gewesen, mir auch dafür die Schuld zu geben.
Mein Sohn war völlig verwirrt von der Heftigkeit, mit der ich ihn umarmte, als ich zurück ins Haus der Rischachers kam. Freudig hörte ich das Gebrüll meiner kleinen Tochter Anna, die endlich aus dem Bett geholt werden wollte. Als sie an meiner Brust lag, meinen Sohn neben mir, der nach Kleinjungen-art interessiert zuschaute, da fand ich langsam wieder zu mir selbst zurück. In meinem Kopf formten sich die sehnsüchtigen Worte, die ich an Konz schicken würde. Ich betete, er würde kommen. In seinen Armen war ich sicher. Ich wusste nur nicht, wovor.
Von da an stand Thomas Leimer jeden Tag in der Nähe des Rischacher'schen Hauses. Er sprach mich nie an. Ich ignorierte ihn, so gut ich konnte. Ich spürte, er suchte meinen Blick. Doch ich schaute immer krampfhaft in die andere Richtung, sobald ich ihn sah. Wann immer möglich, schlug ich andere Wege ein, um ihm zu entgehen, klopfenden Herzens. Ich schämte mich, dass ich floh. Dass dieser Mann, trotz allem, was er an Schaden angerichtet hatte, noch immer meine Gedanken beherrschte. Die Frage, ob er wieder dastehen würde, war der erste Gedanke, mit dem ich morgens aufwachte. Ich schämte mich zutiefst, als ich mich dabei ertappte, dass ich nach ihm Ausschau hielt. Ich wollte ihn aus meinen Gedanken verbannen, aus meinem Leben, aus meinen Gefühlen. Mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung standen, kämpfte ich darum. Und ebenso verzweifelt rief ich mir immer wieder das Bild meines Mannes vorAugen. Die Art wie er mich ansah, seinen Mund, seine Nase. Doch von Tag zu Tag wurde es verschwommener, sosehr ich mich auch bemühte. Ich hasste mich dafür und hoffte von ganzem Herzen, er würde kommen. Doch es erreichte mich nur ein warmer, liebender Brief, in dem er in ungelenken Buchstaben schrieb, sobald alles für den Winter vorbereitet sei, werde er versuchen, sich einige Tage Zeit zu nehmen. Bei dem wenigen, das es zu verteilen gab, war es besonders wichtig, dass es gerecht geschah. Den Überfluss zu verteilen ist einfach. Das Maß des Hungers zu bestimmen, Überleben oder Tod zu verwalten ist eine furchtbare Aufgabe. Auch wenn er es nicht schrieb, so wusste ich doch, dass mein Mann seinen eigenen, schweren Kampf zu bestehen hatte.
Ich sah die Blicke, mit denen mich Genoveva musterte, der mein seltsames Wesen natürlich auffiel. Doch sie war zu zurückhaltend, um mich zu fragen. Und ich erklärte es ihr mit der Sehnsucht nach meinem Mann und meinem Zuhause. Das war umso einfacher, als mein Sohn Thomas immer öfter nach Konz fragte. Anna war noch zu klein dafür, sie kannte ihren Vater noch nicht. Thomas war dagegen für mich die lebendige Erinnerung an jenen anderen Thomas, der immer wieder stumm in der Nähe des Hauses stand und sein grausames Spiel mit mir trieb.
Drei Wochen lang ging das so. Drei Wochen lang gelang es mir, ihn zu ignorieren. Doch dann, eines Morgens, hielt ich es nicht mehr aus.
Er war sichtlich überrascht, dass ich diesmal nicht vorüberging. »Was willst du von mir? Warum lässt du mich nicht in Ruhe? Hast du nicht genug angerichtet?« Es war schwer für mich, ihn anzusprechen. Meine Stimme klang selbst für meine Ohren rau und gebrochen. Wie die einer alten Frau.
»Ich brauche Hilfe, Katharina. Dorothea und ich verbergen uns noch immer im Haus am Rheinknie. Doch die Häscher des Rates ziehen ihren Ring immer enger um uns. Bald haben sie uns gefunden. Wir müssen aus Basel weg, so schnell es geht. Aber wir haben kein Geld mehr.«
»Und jetzt soll ich dir welches verschaffen? Wieso gerade ich? Wieso sollte ich dir und deiner Buhle helfen? Ich will nicht von mir sprechen. Doch du hast die beste, die gütigste Frau verraten, die ich kenne. Du verdienst es nicht, dass man dir hilft.«
»Katharina, bitte ...«
Ich war fast gerührt von seiner hilflosen, flehenden Geste. Aber ich wollte nicht weich werden. »Ich habe kein Geld. Das bisschen, das ich mit meiner Heilkunde verdiene, gebe ich den
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