Zeit des Lavendels (German Edition)
wusste — diese Anziehungskraft, der ich mich nicht entziehen konnte. Aber damals redete ich mir ein, ich hätte das schon längst überwunden.
Genoveva war entsetzt, als ich ihr von Thomas Leimer erzählte. »So hat er also die Unverschämtheit aufgebracht und ist tatsächlich nach Basel zurückgekommen«, murmelte sie vor sich hin.
Ich schaute sie fragend an.
»Er hat am vierten März geheiratet. Das weiß ich inzwischen. Die ganze Sache kam eher per Zufall ans Tageslicht, denn er war schlau genug, nicht in Basel vor den Altar zu treten. Hier wissen einfach zu viele von seiner Heirat mit meiner Schwester. Da musste er die schnelle Entdeckung fürchten. Dorothea Offenburg und er wurden von einem Prädikaten in Arlesheim getraut. Ganz offensichtlich hat dieser Leimer es nur auf das Vermögen von Dorothea abgesehen. Die arme Frau. Sie war wohl einsam nach der Scheidung von ihrem Mann, dem Junker Joachim von Sulz. Da hat sie einiges mitgemacht. Thomas Leimer muss das Herz dieser Armen im Sturm erobert haben. Und schon einen Monat nach ihrer Heirat mit ihm hat sie ihr prachtvolles Haus am Rheinsprung an den Grafen von Württemberg verkauft.«
»Und wie ist nun bekannt geworden, dass er ein Bigamist ist?«
»Dem Rat von Basel kam seltsam vor, dass das Paar nicht in der Stadt geheiratet hatte. So wurde der Sache nachgegangen. Sie fragten auch bei uns nach, weil wir Leimer kannten. Und so kam natürlich heraus, dass Leimer bereits mit meiner Schwester verheiratet ist. Ich erinnere mich noch genau an den Skandal, den das damals auslöste. Dorothea Offenburg und Thomas Leimer waren tagelang das Stadtgespräch. Und natürlich auch meine arme Schwester«, fügte sie leiser hinzu.
Genoveva räusperte sich. Es war deutlich, wie sehr sie dies alles beunruhigte. »Nun, und dann ließ der Rat sie suchen, um sie zu verhaften. Vergeblich. Es hieß später, das Paar sei nach Mühlhausen geflohen. Doch die Mühlhausener lehnten die Festnahme und die Auslieferung der Flüchtigen ab, nachdem Heinrich Bullinger aus Zürich, Reformator und Nachfolger Zwinglis, für Leimer gebürgt hatte. Bullinger bestätigte, was Leimer behauptete: Diese Ehe mit Magdalena von Hausen sei ungültig gewesen. Da half es dann auch nichts mehr, dass Johannes Gast, Diakon von St. Martin hier zu Basel, an Bul linger schrieb und ihn aufklärte. Als der Brief ankam, war die Trauung schon vollzogen.« Genoveva lachte rau. »Gast hat ihn einen ausgemachten Lotterbuben und Frauenjäger genannt, er hat uns das später selbst gesagt. Wir kennen ihn gut. Und ich musste ihm berichten, dass meine Schwester noch immer treu zu diesem Taugenichts und Tagedieb steht. Selbst um den Preis ihrer Freiheit.« Eine einzelne Träne rollte ihr über die Wange.
Ich war wie vor den Kopf gestoßen. »Warum hast du uns nichts davon mitgeteilt? In keinem deiner Briefe stand etwas. Und wenn du das Magdalena geschrieben hättest, ich hätte es gemerkt. Weiß sie denn nichts von dem, was geschehen ist?«
Genoveva schüttelte traurig den Kopf. »Nein, ich habe es nicht übers Herz gebracht. Ich hatte Angst, dass sie dann jeden Willen zu leben verlieren würde. Ich hätte es nicht ertragen, sie noch einmal so zu sehen wie nach ihrer Gefangennahme und der Flucht dieses Schurken.« Genoveva wischte sich ver stohlen eine weitere Träne ab. »Und nun ist er also wieder in der Stadt. Es ist nicht zu glauben. Die Unverschämtheit dieses Menschen ist einfach unfassbar. Wenn ich daran denke, wie oft er früher in unserem Haus zu Gast war. Ich habe nichts, aber auch nichts von seinem üblen Charakter geahnt. Ich hatte so sehr gehofft, dass er endlich aus unserem Leben verschwunden sein würde.«
Sie konnte auch nicht ahnen, wie sehr ich ihr innerlich zustimmte. Sie wusste ja nicht, dass mein kleiner Thomas der Sohn von Thomas Leimer war. Dass ich hoffte, der Schlund der Hölle würde sich auftun und diesen Mann von der Erdoberfläche tilgen. Ich wollte ihn niemals mehr sehen müssen. Er weckte eine Seite in mir, die ich nicht kontrollieren konnte, wenn er bei mir war. Hass, Sehnsucht, Begehren, Scham versammelten sich dann um das Zentrum meines inneren Orkans. Das machte mir Angst. Mit aller Inbrunst betete ich darum, ihm niemals wieder zu begegnen. Doch tief in meinem Inneren wusste ich wohl schon damals, dass dieses Gebet nicht erhört werden würde.
Das Wiedersehen kam schneller, als ich es mir noch in meinen schlimmsten Befürchtungen an diesem Tag vorstellen konnte. Bereits am nächsten
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