Zeit des Lavendels (German Edition)
Rischachers für Unterkunft und Essen. Sie sind auch nicht reich, können eine Frau und zwei kleine Kinder nicht ständig durchfüttern. Ich habe selber Sorgen. Kümmer du dich um deine.« Damit ließ ich ihn stehen.
Doch nun war der Bann gebrochen, die Mauer des Schweigens gefallen. Ich hätte Thomas Leimer besser kennen sollen. Wenn er etwas wollte, gab er nicht auf.
Er tauchte einfach eines Tages in der Rischacher'schen Küche auf — genauso wie vor so vielen Jahren. Er hatte das Haus genau beobachtet und wusste offensichtlich, dass ich mit den Kindern allein war. Wie damals stand er plötzlich hinter mir. Ich saß am Küchentisch, schälte Äpfel und hörte meinem Sohn zu, der ganz aufgeregt von der Blindschleiche erzählte, die er am Morgen im Garten beinahe gefangen hätte. Plötzlich fühlte ich mich beobachtet und schaute über die Schulter. Da stand er in der Küchentüre, einen verunsicherten Blick in den Augen, und beobachtete den kleinen Jungen, der nur so heraussprudelte. Der Schock lähmte mich, ich konnte ihn nur ansehen — und hoffen, dass er nicht erkannte, dass Thomas sein Sohn war.
Ich wollte noch immer nicht, dass er es wusste. Wollte nur endlich Ruhe vor diesem Mann, Ruhe in meinem Inneren und alles vergessen. Wollte endlich ein Leben in Frieden.
»Was willst du schon wieder? Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen? Ich kann dir nicht helfen«, sagte ich schließlich heiser. Meine Kehle war wie zugeschnürt.
Er zögerte. »Kannst du die Kinder nicht hinausschicken? Wir müssen endlich einmal reden. Allein.« Dann grinste er. Wie gut ich dieses jungenhafte, verschmitzte Grinsen kann te. Und prompt spürte ich jenes Ziehen im Bauch, jene Sehnsucht nach Berührung, gegen die ich mich schon früher nicht hatte wehren können. Er sah es sofort. Das alte, bekannte Funkeln war plötzlich wieder in seinen Augen.
»Wie wär's, willst du einem durstigen Mann nicht etwas zu trinken anbieten?«
Ich seufzte. »Also gut, bringen wir es endlich hinter uns«, antwortete ich bemüht mürrisch. Ich spürte, wie die Mauer, die ich zwischen uns aufgebaut hatte, zu bröckeln begann. Doch das wollte ich nicht, auf keinen Fall. Sie war der einzige Schutz, den ich vor diesem Mann hatte. So versuchte ich, jeden der bröckelnden Steine schnell wieder an seinen Platz zu setzen.
Doch ich sah ein, dass es besser war, wenn die Kinder unser Gespräch nicht mithörten. Widerstrebend schickte ich sie in den Garten. Denn solange sie da waren, war ich vor mir selbst und den Wünschen geschützt, die sich tief aus meinem Bauch nach oben in meinen Verstand drängten. Sie schienen zu spüren, dass etwas nicht in Ordnung war, und gingen schweigend. Mein kleiner Thomas warf über die Schulter einen finsteren Blick zurück auf diesen Mann, der ihm die Aufmerksamkeit der Mutter nahm. Thomas Leimer ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Er setzte sich neben mich an den Küchentisch. Fahrig griff ich nach einem weiteren Apfel, um ihn zu schälen. Ich wollte beschäftigt sein, mich an irgendetwas festhalten, um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen. Der Teil meines Verstandes, der noch funktionierte, riet mir zu fliehen. So weit und so schnell wie möglich. Doch meine verwirrten Gefühle nagelten mich auf meinem Platz fest.
Sanft nahm er meine Hand. Ich war unfähig, sie ihm zu entziehen. Meine Finger umklammerten noch immer den Apfel. Die Berührung seiner Haut, die Wärme seiner Hand weckten all die Gefühle in mir, die ich so unermüdlich immer wieder weit in die Tiefen meiner Seele hinabgestopft hatte — nur um weiterleben zu können. Nun brachen sie sich Bahn wie eine Sintflut. Ich zitterte am ganzen Körper.
»Oh Katharina, was haben wir nur gemacht? Immer warst du es, die ich wollte. Doch ich wusste es nicht. Wusste es erst, als es schon viel zu spät war. Als ich deinen Blick sah an dem Tag, als ich mit Magdalena von Hausen aus der Residenz der Äbtissin trat. Doch da konnte ich nicht mehr zurück. Da war ich schon gebunden mit meinem Wort, gebunden durch das gemeinsame Ziel, das wir beide uns gesetzt hatten. Ich war entschlossen, im Dienste des rechten Glaubens den Weg zu gehen, den ich gewählt hatte. Entschlossen, endlich einmal etwas Sinnvolles zu tun in meinem Leben. Sag, was hätte ich denn machen sollen? Dir gab ich nie mein Wort. Aber ihr. Hätte ich diese edle Frau im Stich lassen sollen? Ich weiß, ich tat es dann doch. Und ich schäme mich dafür. Aber am Ende konnte ich es einfach nicht mehr
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