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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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erfuhr.
    Nun musste er nur noch einen Weg finden, Dorothea zu überzeugen, dass ein unverzüglicher Aufbruch nötig war. Sie musste glauben, dass sich der Mann, den sie liebte, in größter Gefahr befand. Was schließlich auch stimmte ... Er sah die Szene förmlich vor sich. Er, völlig aufgelöst zu ihren Füßen; ein Mann, der von Liebe stammelte und davon, dass sie ihr Schicksal nicht länger mit seinem unglückseligen, fluchbeladenen Leben belasten dürfe. Deshalb wolle er sie unverzüglich verlassen, damit sie wieder ihr altes, ehrbares Leben aufnehmen konnte. Das laute Lachen Thomas Leimers hallte durch die enge, dunkle Gasse und brach sich an den Häusern.
    Erschrocken richtete sich Dorothea Offenburg von ihrem Lager auf, als Thomas Leimer völlig verstört in ihr gemeinsames Schlafzimmer stürmte, die Haare zerzaust, den Mantel zerfetzt, Tränen in den eisblauen Augen. Bitterlich weinend brach er vor ihrem Bett auf die Knie. »Liebste, ach, meine liebste Frau, ich weiß nicht, wie ich es über mich bringen soll, dich zu verlassen. Doch ich muss. Die Häscher sind mir dicht auf den Fersen. Ich muss sofort weg von allem, was ich so unendlich liebe. Weg von dir. Oh, verzeih mir. In welche Lage habe ich dich gebracht! Keine Frau verdient es, so leiden zu müssen. Nun bitte ich dich flehentlich, lass mich ziehen, so schnell wie möglich, zu deinem eigenen Besten. Verleugne mich, verleugne, dass wir jemals einander angetraut wurden.
    Verleugne unsere Liebe. Und du bist frei.« Schluchzend sackte er noch weiter zusammen, die Augen hinter den Händen verborgen.
    Dorothea hatte sich inzwischen gefasst. Ein weicher Ausdruck machte ihr herbes Gesicht fast schön. Sie war keine Frau der großen Worte. Zärtlich streichelte sie ihm über den verwirrten blonden Schopf. Ihre Antwort klang fast trocken: »Liebster, red keinen Unsinn. Natürlich werde ich bei dir bleiben. So, wie ich es vor Gott gelobt habe.« Ihre Augen wurden traurig. Sie dachte an das Kind, das in ihr heranwuchs. Sie hatte immer gehofft, ihr erstes Kind würde im vertrauten, behaglichen Haus am Rheinsprung zur Welt kommen, aufwachsen in der Stadt, die sie liebte. Nun würde es in einer fremden Welt geboren werden. Das machte ihr Angst, doch sie unterdrückte den Impuls, ihm davon zu erzählen. Das war jetzt nicht die richtige Zeit dafür, ihn auch noch mit der Sorge um ihr Wohlergehen zu belasten. Es würde ohnehin schon schwer genug werden.
    Thomas Leimer, den Kopf inzwischen in den Armen verborgen, hatte Mühe, nicht zu lachen, und wandelte den Laut schnell in ein erneutes Schluchzen um. Gott, sei gelobt dafür, dass du die Frauen so berechenbar gemacht hast, dachte er.
    Bereits am nächsten Morgen waren Thomas Leimer und Dorothea Offenburg spurlos aus Basel verschwunden. Einen Tag später klopften die Häscher des Rates an die Tür des Hauses am Rheinsprung. Sie fanden es verlassen, klopften an alle Türen und suchten nach dem bigamistischen Messerstecher und seiner Buhle. Doch sie fanden das Paar nicht. Die Flüchtenden wurden von hoher Stelle aus gut gedeckt.

15
    W ie immer, wenn sie sich Sorgen machte, versuchte Mag- dalena von Hausen Ruhe aus dem Anblick der stetig strömenden, manchmal wirbelnden Wasser des Rheins vor ihrem Fenster zu schöpfen. Für sie war der Strom Sinnbild der göttlichen Weisheit und Weltordnung. Ob wild oder träge, seine Wasser zogen doch immer an ihrem Fenster vorbei, scheinbar bestimmt für die Unendlichkeit, kommend aus dem Becken des Bodensees bis hin zur unübersehbaren Weite des Meeres zwischen den deutschen Landen und England, in dem sich seine Fluten verloren. Egal, wie es dem einzelnen Tropfen auch gehen mochte, ob er von den Stromschnellen, dem Wind oder Treibgut herumgewirbelt wurde, oder ob er ruhig und träge seinen langen Weg dahinglitt, ehe auch ihn der Strudel packte — der Fluss blieb sich gleich und änderte sich doch täglich. Eine bessere Metapher für das Leben gab es für die einstige Äbtissin des Stiftes Seggingen nicht.
    Der Novembermorgen hatte weiße Raureifschleier über den Fluss, über die Bäume und Büsche an seinem Ufer gezogen. Schon vor einigen Tagen hatte der erste Frost das kalte Ende dieses schrecklichen Jahres 1549 angekündigt und die Pfützen auf den Wegen gefrieren lassen. Das Ende eines Jahres, das den Menschen der Stadt die zweite schlechte Ernte nacheinander gebracht hatte. Auch den anderen Besitzungen des Stiftes ging es nicht gerade gut. Doch so schrecklich wie hier, in diesem

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