Zeit des Lavendels (German Edition)
sonst so sonnenverwöhnten Landstrich, war es den Landleuten nirgends sonst ergangen. Der Initiative des Stiftsverwesers Hans Jakob von Schönau war es zu verdanken, dass aus den umliegenden Gebieten diesmal mehr Güter gekommen waren als der übliche Teil. Selbst die Leute im Glarus, dem Haus des heiligen Fridolin auch nach ihrer Abspaltung noch immer in Freundschaft verbunden, hatten ihre Vorratskammern geöffnet und Lebensmittel geschickt. So würden die Menschen der Region wohl auch diesen Winter irgendwie überstehen — abgesehen von den Alten und Schwachen ...
Fast hätte Magdalena von Hausen selbst daran geglaubt, dass ein Fluch über diesem sonst von Gott so gesegneten Land lag. Denn noch immer hatte der Papst den Dispens nicht erteilt, damit die neue Äbtissin Agatha Hegenzer von Wasserstelz ihr Kloster. Katharinental, das der Eidgenossenschaft unterstellt war, verlassen und zusammen mit einer Mitschwester, der Dominikanerin Anna von Neuhausen, nach Seggingen kommen konnte. Trotz der Intervention von König Ferdinand und des unermüdlichen Bestrebens des Bischofs. Agatha Hegenzer von Wasserstelz war eine gute Frau mit warmen Augen. Das hatte sie gesehen, als die Hegenzerin nach Seggingen gekommen war, damals, als es den Aufruhr um Katharina gegeben hatte. Sie war sicher auch eine energische Frau, die wusste, was sie wollte. Bei ihr würde das Stift in guten Händen sein. Die Geschäfte und die ihr anvertrauten Gotteskinder, die Freien und die Hörigen, alle brauchten sie dringend wieder eine ordnende Hand, gerade in diesen schweren Tagen.
Obwohl Magdalena von Hausen natürlich wusste, dass nicht nur das Wohl des Stiftes, sondern auch noch manch anderes Kalkül gerade die Hegenzerin zur designierten Äbtissin gemacht hatte, war sie mit dieser Nachfolgerin durchaus einverstanden. Sie selbst konnte wenig tun. Außer zusammen mit dem Schönauer einen weiteren Bittbrief an Rom aufzusetzen, diesen unseligen Zustand doch nun endlich zu beenden. Damit wieder Ruhe einkehre und die jungen Töchter der Edlen, die im Stift erzogen wurden, wieder eine gottgefällige Führerin bekämen. Und ein Schreiben an die Hegenzerin, um ihr die Not ihrer Schäflein zu schildern. Denn schließlich war sie bereits zur Äbtissin gewählt, auch wenn sie ihr Amt noch nicht hatte antreten können. Darüber hinaus konnte sie nur Tag für Tag die Gottesdienste besuchen und um Gnade für dieses bedrängte Land flehen, sich mithilfe des Schönauers bemühen, die größte Not zu lindern und den Leidenden Trost zu spenden.
Ihre eigene Not kam ihr angesichts dieses Leidens ohnehin allzu eigensüchtig und klein vor. Noch immer hing sie in Treue an Thomas Leimer. Doch sein Gesicht begann in ihrer Erinnerung langsam zu verschwimmen. Ihre Liebe und ihre kurze Ehe erschienen ihr immer mehr wie ein Traum, Teil eines anderen Lebens. Ganz anders als die innersten Überzeugungen, die sie noch immer fest zu den Lehren der Reformation stehen ließen. Liebevoll ging ihr Blick zu dem kleinen Sekretär, in dem noch immer, gut versteckt in einem Geheimfach, ihr wertvollster Besitz lag, die Gutenberg-Bibel. Täglich abends im Schein der Kerzen las sie darin. Das war ihr ein großer Trost. Waren diese Worte doch ebenso beständig und ewig in ihrer Wahrheit wie der Fluss vor dem Fenster.
Sie hätte so gerne mit jemandem über ihre Überlegungen gesprochen. Ihre Schwester Genoveva fehlte ihr, ebenso wie Katharina. Sie hatte schon eine ganze Weile nichts mehr aus Basel gehört. Auch das war beunruhigend. Sie würde den Schönauer bitten, einen Boten zu senden, um zu erkunden, wie es den Lieben dort ging.
Eine fordernde Männerstimme riss Magdalena aus ihren Gedanken. Gleich darauf klopfte es an die Zimmertüre, und ihre Bedienerin kam mit zornig geröteten Wangen ins Zimmer.
»Bitte vergebt, hohe Frau. Aber der Bote aus Basel will sich einfach nicht abweisen lassen.« Die Magd musterte Magdalena von Hausen schüchtern. Sie wusste, wie wichtig die wenigen stillen Stunden am Morgen für die unglückliche Frau waren. »Doch er hat ein Schreiben aus Basel mitgebracht und will es nur Euch selbst übergeben.«
Magdalena zog erstaunt eine Augenbraue hoch. Ihr Gesicht war immer noch schön, auch wenn das Schicksal schon einige graue Fäden in ihre dichten, dunklen Haare gemalt und einige Linien in ihre Stirn und die Mundwinkel gegraben hatte. »Lasst ihn hereinkommen«, sagte sie in ihrer ruhigen Art.
Auch der junge Mann hatte gerötete Wangen, offensichtlich
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