Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim
saß auf der Böschung, den Kälberstrick in der Hand. Er trug einen verkratzten Helm, der oben weiß war, über den Ohren aber schwarz-weiß kariert. Seine Schutzbrille war altmodisch und schwarz wie eine Schweißerbrille.
Ich schreckte hoch, lag wach und horchte auf die Stille.
29
Ein betrunken wirkender Mann schwankte über den Bahnsteig. Er hatte einen großen, hässlichen Kopf, und auch sein Körper sah aus, als sei er irgendwie lieblos zusammengestoppelt worden, mit Armen und Beinen, die nicht zusammengehörten. Sein schwankender Gang unterstrich die Giraffenähnlichkeit seiner Bewegungen. Der Mann trug ein weißes Eishockeyhemd, auf dem Rücken stand in blauen Buchstaben BURE.
Als der Mann mich sah, ging er plötzlich manierlich.
»Grüß dich, Stepan.«
»Viktor Nikolajewitsch«, erwiderte er höflich. Wir schüttelten uns die Hand.
Stepan war nicht so gut wie Pavel Bure, aber auch er hatte als Profi Eishockey gespielt. In der ersten russischen Division hatte er es zum Torschützenkönig gebracht, doch vor dem Aufstieg in die oberste Liga war seine Karriere ins Stocken geraten. Daraufhin war Stepan nach Finnland gereist und hatte sich der Mannschaft SaiPa in Lappeenranta angeboten. Ich war als Dolmetscher dabei gewesen. Der Vorstand und die Trainer der SaiPa hatten im Café der Eishalle zunächst mir die Hand gereicht, weil sie mich für den Spieler hielten. Ich hatte mich über ihren Irrtum nicht gewundert, denn auf den ersten Blick sah Stepan nicht wie ein Mittelstürmer aus.
Auch bei näherem Hinsehen waren einige Zweifel an Stepans Spielerqualitäten aufgekommen. Stepan machte keine Anstalten, sich dem geradlinigen finnischen Eishockey anzupassen. Er wollte den Puck behalten, kurvte mit ihm über das Eis, notfalls auch auf das eigene Tor zu, anstatt die schwarze Scheibe gegen die gegnerische Endbande zu schießen, wo man sie aus wildem Gedränge fischte.
Der Abpfiff kam durch eine Armverletzung. Stepan brach sich die Speiche und kehrte stillschweigend nach Russland zurück, die Entschädigung der Versicherung in der Tasche. Ich hörte, dass er dort einen auf Pornos spezialisierten Videoverleih betrieb und zu saufen begonnen hatte, doch dann tauchte er plötzlich wieder in Finnland auf. Nun verrichtete er in Helsinki kleinere Dienste für russische Gauner und Geschäftsleute. Häufig hielt er sich am Hauptbahnhof auf. Dort stromerte er herum, eine Schnapsflasche in der Jackentasche, bettelte um Geld und Zigaretten und klaute unvorsichtigen Reisenden das Handy oder den Laptop.
Ich vermutete, dass Stepan auch auf Bestellung Handys stahl, im Auftrag der russischen Botschaft oder russischer Businessmänner. Aber ich hatte ihn engagiert, meiner Frau nachzuspionieren.
»Was hast du gesehen?«, fragte ich ohne Umschweife.
»Na, deine Frau ist angekommen, sie wurde erwartet, und dann sind sie in ein Restaurant gegangen.« Stepan bewegte sich vorsichtig über das Spielfeld und machte an der Torlinie halt.
»Ja. Wer hat sie abgeholt. Haben sie sich umarmt? Geküsst?«, drängte ich ihn voran.
»Ein Mann. So ein normaler Finne. Kleiner als du. Vielleicht auch jünger. Gepflegt. Nicht irgendwie fein, ich meine, Kleidung und so«, wand sich Stepan. »Sie haben sich umarmt und geküsst. Aber nicht leidenschaftlich! Deine Frau hat sichsogar ein bisschen gewehrt«, checkte er die Lage ab, als er den Verdacht erkannte, der mir ins Gesicht geschrieben stand.
»Und dann?«
»Ja, also, das mit dem Küssen kam dann später, auch mehr. Am Bahnhof war es nur so eine freundschaftliche Begrüßung. Oder ein bisschen mehr. Aber nicht direkt ein Ablecken«, fuhr Stepan fort, als ich ihn fordernd ansah.
»Und?«
»Sie haben gegessen. Ich habe draußen gewartet, ein bisschen weiter weg. Aber ich habe sie die ganze Zeit im Auge behalten, damit sie mir nicht entkommen. Sie haben zwei Flaschen Wein getrunken. Roten. Deine Frau hat bezahlt.« Über dieses Detail schien Stepan sich zu wundern. »Dann sind sie zum Taxistand gegangen, haben sich unterwegs eine Weile im Esplanadenpark geküsst. Bei der Statue.«
»Sind sie zusammen weggefahren?«
»Nein. Der Typ hat deine Frau zum Taxi gebracht. Ein Volvo. Das Kennzeichen habe ich mir notiert. Also, sie sind nirgendwo hingefahren, um zu vögeln … miteinander zu schlafen. Ich meine … es ist nichts weiter passiert. Der Mann ist zu Fuß Richtung Töölö gegangen. Ich bin ihm bis zum Parlamentsgebäude gefolgt, aber dann habe ich kehrtgemacht. Weil wir weiter nichts
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