Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim
witzelte er. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen.
Ich dachte bei mir, dass ich neuerdings viel zu oft am Waschbecken Verhandlungen führte. Vielleicht sollte ich mein Büro gleich in eine halbwegs gelüftete Herrentoilette verlegen.
Unter Wronskijs aufmerksamem Blick drehte ich den Spülknopf am Wasserkasten des Klos ab und hob den Deckel. Das Stoffbündel war mit Tesafilm an der Innenseite befestigt. Ich löste es ab und gab Wronskij die Pistole, meinte entschuldigend, es sei nur eine Zweiundzwanziger, doch sie müsse genügen. Wronskij sagte, er wisse die Waffe und meine Hilfe zu schätzen, er wolle nicht undankbar sein.
Er nahm meine Hand, drückte sie lange, umarmte mich dann und küsste mich auf beide Wangen. Ich erwiderte die Küsse, sagte mir dabei halb amüsiert, na verdammt, da umarmst du einen Schwulen auf der Toilette.
»Du bist ein Freund«, erklärte Wronskij.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich konnte dich nicht im Stich lassen.«
Wronskij lächelte. »Immer noch der Alte. Du wärst einguter Vorzeigearbeiter geworden. Wenn du ein bisschen älter wärst, hättest du dich bestimmt zum Bau der BAM gemeldet.«
Ich erzählte ihm nicht, dass ich die Komsomolzen beneidet hatte, die auserwählt worden waren, die Gleise der Baikal-Amur-Magistrale zu verlegen. Die Bilder in den Nachrichten waren mir atemberaubend feierlich erschienen. Die Arbeitsbrigaden von Bondar und Warsawskij trafen aufeinander, und das Gleisjoch, das den östlichen und den westlichen Bauabschnitt verband, wurde mit goldenen Nägeln befestigt. Und ich erinnerte mich auch daran, wie meine Mutter spöttisch geschnaubt hatte, die ganze Bahn mitsamt den Zügen werde im Sumpf versinken, wenn der gefrorene Boden auftaue.
»Vielleicht hätte ich tatsächlich mitgemacht. Irgendwer muss es ja tun, immer«, lächelte ich zurück.
Wir gingen hinaus. Der Mann im Rollstuhl, der vor der Toilette wartete, zuckte zusammen, als er sah, dass wir zu zweit waren. Ich ging zum Gate für die Maschine nach Stockholm, blickte nicht zurück.
Martti Ahtisaari saß im Sessel und las die Financial Times. Er hatte die pelzgefütterten Pantoffeln abgestreift und die Füße auf den Hocker gelegt. Der Expräsident zog seine Zehen zusammen und erforschte sein Gemüt.
Ziemlich wenig Beachtung hat sie gefunden, die Ehrung durch die Russen, dachte er verärgert. Aber irgendein Kolumnist in Finnland und eine internationale Wochenzeitschrift werden demnächst sicher ausführlicher darüber berichten, dämpfte er seinen Unwillen. Sie werden die Auszeichnung richtig zu deuten wissen, als Ausdruck einer Neuorientierung der russischen Politik. Obendrein ist sie eine stillschweigende Anerkennung des Kosovo-Friedensvertrags. Und es gibtmehr als einen Hinweis auf baldige Friedenssondierungen im Georgien-Konflikt.
»Na, wir werden sehen, woher der Wind weht«, sagte er leise, und das »S« pfiff wie ein Wasserkessel.
Und in der Weltpolitik ist nichts persönlich. Obwohl es einen fuchst. »Sogar als Nobelpreisträger«, murmelte er.
»Was hast du gesagt, Martti?« Eeva Ahtisaari spähte aus der Küche zu ihm hinüber.
»Ach, nichts. Medwedjew scheint ein ganz netter Mann zu sein.« Beinahe hätte Ahtisaari den russischen Präsidenten als »Jungen« bezeichnet. »Ich habe auf Russisch mit ihm gescherzt, mich für die Souvenirs aus Moskau bedankt. Vor Jahren bin ich ihm ja schon einmal begegnet, aber ich habe vorgegeben, mich nicht daran zu erinnern. Manchmal muss man das diplomatische Spiel auch andersherum spielen«, erklärte er und nahm die nächste Zeitung vom Stapel.
Die finnische Presse beweihräucherte den uneingeschränkten Erfolg des Staatsbesuchs. Die Gasleitung durch die Ostsee macht Fortschritte. Die Lösung der Zollfrage beim Holzimport verzögert sich, aber im Moment scheint Finnland mit seinem eigenen Holz auszukommen. Rezession, Rezession … Ahtisaari war das ständige Gerede über die Ökonomie satt. Ich habe zu Vanhanen und Halonen gesagt, ich habe das Fundament gelegt, jetzt macht ihr weiter, so tat er die langweilige Innenpolitik ab. Die einen tun, die anderen sagen, was zu tun ist. Und ich bin eher ein Kosmopolit, gestand er sich ein, war einen Moment lang beinahe gerührt über seine Demut.
»Alle Konflikte sind lösbar«, sagte er zusammenfassend, sprach schon wieder, ohne es zu wollen, seine Gedanken laut aus. »Hör mal, Eeva …«, sagte er dann, wollte seiner Frau von dem lächerlichen Geschwätz der Sicherheitspolizei
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